Über fehlende Buchstaben und vermisste Menschen

Judith Taschler legt mit “Roman ohne U” einen weiteren spannenden Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte, vor. Im Zentrum: das Mühlviertel als ein Sinnbild für einen Menschenschlag.

Winter, Wald, raues Klima - die Hauptfigur des Romans, Katharina Bergmüller, die der Liebe wegen ins Mühlviertel kommt, lebt ein ereignisarmes Leben. Eine schöne aber langweilige Frau ohne Eigenschaften, die es ihrem Mann, Julius, recht machen möchte. Vier Kinder, nur eines davon geplant und ein Ehemann, der seine Abenteuer schon längst anderswo sucht. 

So weit so banal. Doch in diesem Roman entfalten sich zwei Geschichten parallel. Die Familiengeschichte der Bergmüllers, die am 21. Dezember 2012 durch ein schweres Unglück erschüttert wird. Und die Geschichte von Thomas, der 1945 nach Kriegsende in ein sibirisches Straflager überstellt wird und zwanzig Jahre später über Umwege wieder nach Österreich zurückkehren kann. Nach seiner Heimkehr bringt er seine bewegende Geschichte auf einer Schreibmaschine, deren U-Taste defekt ist, zu Papier. Dieses Dokument landet im Jahr 2012 in den Händen von Katharina, die sich neben ihrer Rolle als brave Mutter und Ehefrau eine Karriere als Biografin aufzubauen versucht. 

Dass diese beiden Geschichten enger miteinander verknüpft sind, als die Figuren ahnen, liegt für die LeserInnen auf der Hand. Wie, ist jedoch die große Frage, die es hier auf 330 Seiten zu erkunden gilt. Mithilfe von Zeitsprüngen und verschiedenen Blickwinkeln entwirft die Autorin ein facettenreiches Bild, das Seite für Seite an Farbe an und Details gewinnt. Der Spannungsbogen ist geschickt aufgebaut und macht das Buch zu einem wahren Pageturner, der ideal für lange Herbstabende am Kamin geeignet ist. An manchen Stellen, vor allem in der Beschreibung der Geschichte von Thomas und dessen Leben in Russland wird etwas zu tief in die Klischee-Trickkiste gegriffen, doch auch das vermag den Lesefluss nicht zu  bremsen. Interessant und plausibel ist vor allem die Entwicklung Katharinas. Bei “Roman ohne U” handelt es sich definitiv nicht um Weltliteratur im Stile eines Murakami, wer jedoch auf der Suche nach einem ungewöhnlichen Roman mit Suchtpotenzial ist, wird hier mit Sicherheit glücklich werden. 
   

 

Roman ohne U
Judith W. Taschler
Gebundene Ausgabe: 330 Seiten
Verlag: Picus Verlag; Auflage: 1. Aufl. (25. August 2014)
Sprache: Deutsch

 

Nina Wöss

'Sie gehörte zu den Mädchen, die niemals etwas nur mögen oder gut finden, sondern schwärmen.'

K. Hagena, "Der Geschmack von Apfelkernen"