Die literarische Hinterlassenschaft eines großen Talents

In "Das Gegenteil von Einsamkeit" wurden die Stories und Essays der viel zu früh gestorbenen Autorin Marina Keegan, veröffentlicht. Die dynamischen und ambitionierten Texte, die nie an Lockerheit verlieren, bieten ein Lesevergnügen für Jung und Alt.

Es war nicht nur ein Hirngespinst. Sie wollte es wirklich. Marina wollte schreiben. Eine Schriftstellerin werden, mit allem was dazugehört. Leider kam das junge Talent Marina Keegan (1989-2012) einige Tage nach ihrem Yale-Abschluss bei einem Autounfall ums Leben. Ihr bisheriges Schaffen wurde nun zusammengetragen und in einem Buch veröffentlicht. Ihre Professorin Anne Fadiman beschreibt die junge Autorin in der Einleitung als Zitat - fanatische Feilerin - die ihre Texte immer wieder überarbeitete, und der Meinung war, es gehe immer noch besser, selbst wenn andere schon längst von der Perfektion des Geschriebenen überzeugt waren.
Marina Keegan war eine ambitionierte und hochaktive junge Frau. So war sie unter anderem Mitorganisatorin von Occupy Yale, Präsidentin der Yale Democrats, spielte in zwei Theaterstücken mit, absolvierte ein Praktikum bei der Paris Review, beschaffte sich einen Job beim New Yorker und bekam einige Literaturpreise.
Das Buch, dessen Veröffentlichung sie nun leider nicht mehr miterlebt hat, umfasst eine Zusammenstellung aus ihren Essays und Stories zu unterschiedlichsten Themen.

Den Einstieg in das Buch macht allerdings ihre Rede für die Yale-Abschlussklasse: "Das Gegenteil von Einsamkeit". Keegan hat kein Wort dafür, versucht aber ihr Gefühl zu beschreiben, außerdem auch das Streben nach all den sich bietenden Möglichkeiten und trifft damit sicher den Nerv vieler junger Menschen. Überhaupt sind die Themen die Marina in ihren Texten behandelt sehr nah am Zeitgeschehen.
"Die smaragdgrüne Stadt" beispielsweise ist eine Geschichte über einen Soldaten/CPA-Beamten in Bagdad  - in Email-Form aufgebaut - und beginnt fast harmlos, überrascht dafür mit einem heftigen Ende. Schwermütig geht es in "Challengertief" zu. Eine Story über das Hoffen und Bangen einer Besatzung eines U-Bootes; die Melancholie wird grandios eingefangen. Man fühlt direkt die Aussichtslosigkeit der Situation, ebenso die Dunkelheit und Enge. Besonders gelungen ist auch ihr Artikel "Ich töte für Geld", der sogar den Alltag eines Kammerjägers spannend macht. Kleine gut beobachtete Details lassen ein Bild des munteren Mannes vor den Augen entstehen.
Einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben gibt Keegan in ihrem Essay "Aufs Korn genommen", in dem es es um ihre Zöliakie-Erkrankung geht. Die Autorin beginnt damit, was sie alles auf ihrem Sterbebett zu essen bestellen würde. Von einem McDonald's Hamburger bis hin zu einem Sortiment von Dunkin' Donuts. Lebensmittel mit Gluten, die sie im normalen Leben nicht essen sollte. Dann schildert Marina weiter, wie es für sie als Betroffene im Alltag ist, wenn man nicht das Gleiche essen darf wie alle Anderen. Wie sie ihr Essen in die Schulcafeteria mitnehmen muss, ihre Mutter vor Ausflügen heimlich glutenfreie Eistüten abgibt, damit auch sie ein Eis essen kann oder immer extra für sie kocht und backt. Sie beschreibt wie unangenehm ihr diese "Extrawürste" sind. Und dann sagt sie doch wieder: "Es ist nur Essen", fällt aber trotzdem auf. Sie berichtet wie ihre Mutter sich unermüdlich für sie einsetzt und sich freut, wenn sie wieder ein glutenfreies Produkt entdeckt hat und wie sie ihre Tochter darauf aufmerksam macht, im Restaurant den Koch um die Benutzung einer separaten Pfanne zu bitten. Keegan, der das oft eher lästig erscheint, erzählt wie sie ihre Ernährung zeitweise nicht so eng sieht. Ein Artikel, der ihr unterkommt, regt sie dann aber doch zum Umdenken an und sie sieht auch die Bemühungen ihrer Mutter in einem anderen Licht und weiß diese mehr zu schätzen.

Fazit

Marina Keegan's Essays und Stories in "Das Gegenteil von Einsamkeit" sind kurzweilig, schaffen es aber dennoch im Gedächtnis zu bleiben. Die Themen und die Sprache ihrer Texte entsprechen ihrem Alter und kommen deshalb nicht gekünstelt hinüber. Ihre Werke sind frisch, temperamentvoll und ungezügelt, mal düster, dann wieder heiter. In ihren Essays beleuchtet sie gekonnt verschiedene Perspektiven, macht wenn nötig ihren Standpunkt klar, zwängt aber niemanden ihre Meinung auf. Ihre Ansichten sind nachvollziehbar oder regen zumindest zum Nachdenken an. Mich - selbst Zöliakie-Betroffene- hat sie spätestens mit ihrer Abhandlung über das Leben mit der Krankheit voll und ganz für sich gewonnen. Es ist als hätte jemand meine Gedanken und Gefühle in Worte gefasst und auf Papier gebracht. Auf jeden Fall lohnt es sich das Buch zu lesen und es ist wirklich schade, dass es keine neuen Texte mehr von dieser talentierten Schriftstellerin geben wird.

Das Gegenteil von Einsamkeit
von Marina Keegan
aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Jakobeit
erschienen bei S. Fischer
gebundene Ausgabe, 288 Seiten, 19,60€ (A)
ISBN: 978-3100022769

Stephanie Ambros