Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Das Grazer Kollektiv Polkov legt mit ihrem gleichnamigen Debütalbum eine träumerische Platte voll subtilem Humor, melancholischer Romantik und unvorstellbarer Gelassenheit vor. Ein großartiges, herbstliches Album, das richtiggehend verzaubert.

"I've been waiting for so long, I've been so goddamn patient" - die Sehnsucht, mit der in Caterwaul eine schwierige Liebe besungen wird, hätte sich ebenso auf Polkovs endlich erschienenes und selbstbetiteltes Debütalbum richten lassen. Bereits seit 2009 bestand das Projekt, wirklich ernst wurde es aber erst 2013, als die Besetzung in heutiger Form erreicht war. Eine Besetzung, die man aufgrund einschlägiger Vorerfahrungen (Farewell Dear Ghost, Stereoface...) durchaus als steirisches All-Star-Team verkaufen könnte und deren so gar nicht wie ein Debüt klingendes Album man auf diesen Umstand zurückführen könnte. Was aber ein wenig fad wäre und der Band noch ein wenig mehr Unrecht täte. Denn dass Polkov, das Album, derart ausgereift und erhaben daherkommt, hat weniger mit technischer Beschlagenheit oder Routine im Songwriting zu tun, es verweist vielmehr auf die beeindruckende und immer wieder überraschende poetische Aura, welche Polkov, die Band, Song für Song errichtet.

And you're forever lost in reverie

Knappe vierzig Minuten reicht einem das Album mit dem farbenprächtigen Paradiesvogel auf dem Cover die Hand zur Reise in eine bunte Welt aus Tagträumereien, Sehnsüchten und melancholischer Schwelgerei, die selbst der besungene "matchday at Old Trafford" nicht auf den vom Rasensprenger zur Rutschpartie gestalteten Boden der Realität zurückholen könnte. Sänger Laurenz Jandl - bekanntlich nicht unbedingt der schlechteste Nachname für Poeten - verleiht dieser traumhaften Mischung eine Stimme, die sich den Weg vom Plattenspieler auf die Couch neben einen bahnt, um die imaginäre Kuscheldecke auszubreiten. Eine Patchwork-Decke, zusammengenähte Versatzstücke aus Computerspiel-Romantik, Trennung am Würstelstand und Eternitäts-Illusionen, die die jeweilige Stimmung hautnah transportiert und mit weicher Last ummantelt.

Etwa wenn die zweite Single das gelobte Land in einer Grazer Bar und der dort erlebten, kurzen Liebe verortet, den Verlust derselben betrauert und versucht, den Schmerz auszusitzen - und dabei doch immer weiter in das Sitzpolster der Melancholie gedrückt wird: "Everything I am, is just a mirror/these days the darkness kicks in/the mirror shattered by a hotdog stand/you got out of hand/my promised land."
Auch in Paul's 316th Dream, wenn vom Durcheinandergeraten der eigenen Welt wie durch den Einschlag einer Kanonenkugel auf dem Schiff der Erinnnerung die Rede ist oder in Strangers eine lastende Sprachlosigkeit, die Taubheit des Umfelds thematisiert wird, kommt man dem Zauber von Polkov nicht aus. Von einem solchen lässt sich nämlich ganz ungeniert sprechen - nicht nur aufgrund des durchaus mystischen Vokabulars und der Vorliebe für der Zauberei mächtige Figuren, Hermine Granger oder Zelda etwa. Ersterer ist gar ein ganzer Song der Verehrung gewidmet, aber - um auf den der Band eigenen Zauber zurück zu kommen - auch Polkov sind keine Muggels (im besten Harry Potter-Sprech): Ihnen gelingt auf nahezu jedem Song des Albums ein Überaschungsmoment, die Vermittlung einer kohärenten Stimmung und eine wunderschöne Melodie. Und dazu stets diese verträumte, weltvergessene Gelassenheit, mit der dem Leben begegnet wird: Nothing else has changed except for everything.

We're the whispers in your ear

Die Jandlsche Poesie findet dabei auf der Instrumental-Ebene eine adäquate Entsprechung in Form gleichsam simpler wie vielseitiger Arrangments, die entspannten Gitarren führen die narrativen Erzählstränge fort, das Schlagzeug sorgt sanft, aber bestimmt für gleichmäßige Bahnen des musikalischen Flusses namens Polkov. Um dann bisweilen doch alle Bedacht über Bord zu werfen und etwa in Inbetweeners oder Paul's 316th Dream neue Saiten aufzuziehen. Apropos neue Saiten: Für das Album konnte der namhafte Pedal-Steel-Gitarrist Jon Graboff gewonnen worden, dessen herrliche Western-Romantik versprühende Gitarre dem Werk endgültig zur Vollendung gereicht. "This is where it ends/seems like a good place to start", heißt es da fast programmatisch in Kamaro's Song und ob jetzt Ende oder Anfang ist seit der Erfindung der Repeat-Taste eigentlich egal.

Der Rundling Polkov hat ein unverkenntliches Faible für Anspielungen, Verweise und Zitate. Ebendeshalb könnte man ihn in musikalische Traditionen einordnen, Referenzschubladen weit öffnen und auf künstlerischen Landkarten verorten. Calexico, Foxygen und die West Coast ließen sich da nennen oder auch Bill Fay. Es wäre dies aber eine Form der Annäherung, die unzureichend verbleiben würde. Die Eigenständigkeit des Klangkosmos, in dem Polkov seit ihrem musikalischen Urknall residieren, ließe sich auf diese Weise nicht fassen. Generell ist es vorstellbar, dass nicht jeder mit der Fantasie und der poetischen Offensive Polkovs etwas anzufangen weiß, sich die Zauberhaftigkeit des Albums durchaus so manchem nicht erschließen will oder die freimütige Offenheit und Träumerei geradewegs abstößt. Polkov ist eben auch eine Platte, die zwischen Subtilität und großen Gefühlen hin und her schwingt und eine ungewöhnlich offene und bedachte Sprache spricht. Wer sich schlussendlich auf diese einlässt, wird ganz bald eine Stimme im Ohr haben: Where did all the magic go?




Polkov live:
28.11. Graz, ppc (Styrian Sounds Festival)
13.12. St. Pölten, frei:raum (Klub Kling Klang)

 

polkov promised landPolkov - Polkov
VÖ: 31.10.2014
Phonotron
LP/CD/Digital

Julius Schlögl