Über das Ziel hinausgeschossen

"Wir kommen" ist das umstrittene Erstlingswerk von Feuilleton-Wunderkind Ronja von Rönne und vereint depressive Hipster-Charaktere, die Angst vor dem Alleinsein und dem Treffen eigener Entscheidungen haben.

Mit ihrem Blog "Sudelheft" und Texten für die deutsche Zeitung "Die Welt" ist die junge Autorin Ronja von Rönne in aller Munde, nicht zuletzt, weil sie des Öfteren polarisiert hat. 2015 durfte sie sogar beim Ingeborg-Bachmann-Preis lesen. "Wir Kommen" ist ihr Romandebüt, das vor Kurzem auf den Markt gekommen ist.

Verfasst ist das Ganze aus der Ich-Perspektive einer Protagonistin namens Nora, die an Hand von Tagebucheinträgen ihre Geschichte erzählt. Diese Aufgabe hat der jungen Frau ihr behandelnder Therapeut gestellt, bevor er sich in einen mehrwöchigen Urlaub verabschiedet hat. Seit dem plötzlichen Tod ihrer Freundin Maja, die sie seit ihrer Kindheit gekannt hat, leidet Nora an Panikattacken und ist ziemlich depressiv. Die Moderatorin einer Shopping-Sendung führt auch sonst ein sehr eigenes Leben. Passivität prägt ihren Alltag und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen lebt sie in einer Beziehung mit Karl, Jonas und Leonie. Letztere hat mit Emma Lou gleich auch noch ein Kind mit in diese merkwürdige Beziehung gebracht. Das Mädchen spricht kaum und die restlichen Erwachsenen schleppen ebenfalls einen Sack an Problemen mit sich herum. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo alle Beteiligten der Konstellation nicht mehr können. Ein Ausflug ans Meer soll ihnen helfen, ihr aus den Fugen geratenes Leben wieder in geordnete Bahnen zu bekommen. Unterstützend soll auch noch eine Party oder sogar ein Mord helfen. An Hand von Rückblenden kommen immer mehr Details zu früheren Ereignissen und vor allem zur verstorbenen Maja ans Licht.

Fazit

Welcher Kritiker hat nochmal prophezeit, das hier wäre eine neue Stimme am Literaturhimmel? Ich habe versucht diese Stimme zu erkennen, zwischen den Zeilen und Metaphern zu lesen, aber ich habe sie nicht gefunden. Die heutige Gesellschaft und ihre Phänomene, Richtungen und Trends sind in "Wir kommen" ganz nett beobachtet und mit einer Portion von eigensinnigen Humor versehen zu Papier gebracht worden. Durch die jugendliche/ pseudo-intellektuelle Sprache - je nach Ansicht des Betrachters - wird das ganze Unterfangen abgerundet. Das war es dann aber schon. Die oftmals ellenlangen Sätze, an die man sich mit der Zeit gewöhnt, sind noch das geringste Problem. Die Geschichte zieht sich einfach nur so dahin, ist fast nichts sagend und sehr klischeehaft. Weiters kann man mit den Charakteren weder besonders mitfiebern/mitleiden, noch nicht einmal ein richtiger Hass auf sie ist möglich. Man weiß nicht, ob sie einem leidtun sollen oder ob man sie wegen ihrer Art zu leben einfach nur schütteln soll, damit sie aufwachen. Dadurch sind sie einem ziemlich schnell egal. Außerdem stellt sich mir die Frage, wieso zieht es eigentlich in letzter Zeit immer sämtliche Protagonisten mit ihrem Haufen von Problemen ans Meer? Hatten wir das nicht gerade erst bei Sarah Kuttners "180 Grad Meer"? Die Rückblenden in von Rönnes Roman sind gut gemeint, aber schon oft in Werken dagewesen, in welchen sie wesentlich spannender aufbereitet wurden und sich die Auflösung ebenfalls erst am Schluss zusammenfügt. Ich persönlich habe nicht viel aus dem Buch mitgenommen, geschweige denn noch viel über die Geschichte nachgedacht, weil sie mich nicht berührt hat. Meiner Meinung nach hätte man aus manchen Ansätzen mehr herausholen können. Die Notwendigkeit, das entstandene Endergebnis in einem Buch zu veröffentlichen, bleibt für mich daher fraglich.

Wir kommen
von Ronja von Rönne
erschienen bei Aufbau Verlag
gebundene Ausgabe, 208 Seiten, 19,50€ (A)
ISBN: 978-3-351-03632-4

Stephanie Ambros