Scheiß auf Self-Love, gib mir Klassenkampf

Der deutsche Satiriker, Moderator und Podcaster Jean-Philippe Kindler kann mit seinem Debut „Scheiß auf Self-Love, gib mir Klassenkampf: Eine neue Kapitalismuskritik“ nun auch Autor in seine Liste an Jobs hinzufügen. Gleichzeitig Plädoyer und Suche, tritt er mit Pathos und Sachlichkeit für eine Reorientierung in Richtung Allgemeinwohl ein.

In sechs kurzen aber sehr dichten Kapiteln widerlegt Jean-Philippe Kindler diverse nur durch Bauchgefühl validierte Mythen der Linken wie auch der Konservativen und Neoliberalen und rechnet mit der Vereinnahmung linker Politik durch individualistische Buzzwords die nur der Konsumförderung dienen ab. Von Demokratie, Armut und Klimakrise bis hin zum Glück, dem guten Leben und dem Linkssein an sich werden die großen Themen unserer Zeit in bestechend klarer Sprache beleuchtet, politisiert und - als wäre das nicht schon eine riesige Aufgabe an sich - mit Lösungsansätzen zu einem schwer verdaulichen aber leicht zu lesenden Paket geschnürt. Dafür werden alte Klassiker wie Marx und Weber, aber auch neuere Klassiker wie Mark Fisher und Colin Crouch zu Rate gezogen und gleichzeitig zugänglich gemacht.

Durch den gesamten Text ziehen sich einige rote Fäden, die als Schlagwörter der Linken Tradition haben, wie etwa Individualisierung, Entfremdung und Solidarität. Kindler schafft es diese in den heutigen Kontext zu bringen und aktuelle Probleme die aus eben jener individualisierten Gesellschaft und der daraus folgenden Entfremdung durch den Mangel an Solidarität durch konkrete Beispiele auf der Mikro- und Makroebene mit neuem Leben zu befüllen. Rein auf der Ebene des Großen und Ganzen ist es der seit mehreren Jahrzehnten Rückzug der Politik von staatlichen Aufgaben durch Privatisierung und abwälzen auf die Einzelnen, gerechtfertigt durch einen infantilisierten Freiheitsbegriff, die Kindler als „Antipolitik“ bezeichnet. All das mündet in einen Aufruf eine Demokratie zu gestalten und zu ermöglichen, in der tatsächlich alle auf Augenhöhe gleichberechtigt teilnehmen können, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Für alle die politische Symptombekämpfung durch Ursachenverschlimmerung zur Verzweiflung bringt und die beim Wort "Eigenverantwortung" inzwischen nur noch Brechreiz verspüren.

Scheiß auf Self-Love, gib mir Klassenkampf: eine neue Kapitalismuskritik
von Jean-Philippe Kindler
erschienen am 16.10.2023 bei rowohlt.
gebundene Ausgabe, 160 Seiten, 12€

 

Kathrin Suppanz