Michel Jean berührt in "Atuk - sie und wir" mit der Geschichte seiner Innu Großmutter Jeannette. Nach dem Erfolgsbuch "Kukum" über seine Urgroßmutter ist der neue Roman ein weiteres Stück Kultur, der die Welt Unrecht nicht vergessen lässt. Großartig.
Michel Jean ist Journalist und Moderator, ebenso erfolgreicher Autor, und er ist auch Innu. In "Atuk sie und wir" setzt sich der Schriftsteller weiter damit auseinander, was es heißt Innu zu sein. Vorwiegend geht es allerdings um seine Großmutter Jeannette, auch genannt Schwalbe und deren Mutter – Michels Urgroßmutter- Almanda. Die Kapitel wechseln zwischen „Sie“ und „Er“, gemeint sind der Autor und seine Großmutter. Ihr ursprünglicher Name lautete Atuk.
Die Geschichte beginnt auf der Beerdigung von letzterer und Jean beginnt sich zu fragen, weshalb er sie eigentlich nie genauer nach ihrem Innu-Leben und Erinnerungen erkundigte. Fallen ihm doch eher nur banale Kindheits-und Jugenderinnerungen ein. Vielleicht aus dem selben Grund aus den wir die Kriegsgeneration nicht gerne nach dem 2. Weltkrieg fragen?! Auch in kanadischen Schulen und generell an Unis wird immer nur bestimmtes Wissen vermittelt. Das ist auch heute noch so, wie er Michel Jean selbst bei seinem Patenkind feststellen muss. Erst später und mit der Zeit setzt sich der Schriftsteller mit seinem Erbe auseinander, mit den Richtlinien der kanadischen Regierung, den Ab-und Anerkennungen. Mit dem Rassismus, der ihm als Innu widerfährt. Selbst in jungen Jahren und danach in seinem Job ist er davor nicht gefeit. Ist es besser den Innu in sich zu verleugnen?
Der zweite Erzählstrang betrifft seine Großmutter Jeannette, die 100 Jahre alt wurde. Sie wurde im Wald geboren und lebte und fühlte sich als richtiges Innu Mädchen. Sie liebte die Wälder, ihren See, die Bräuche, die Familie und die Community. Ebenso mochte sie die Geschichten der Alten und arrangierte sich sogar mit dem ärmlichen Leben. Als sie zur Schule musste, bekam ihre „heile“, allerdings trotzdem manchmal sehr entbehrliche Welt erstmals kleine Risse.
Nichtsdestotrotz empfand sich die junge Frau immer als Innu. Nach einer Zeit entbehrungsreichen Zeit, die ihre Familie durchmachte, trifft sie auf Xavier Gagnon. Sie verliebte sich unsterblich in ihn und entschied sich für Xavier. Nachdem man sie deshalb aus der Gemeinschaft verstieß, da sie einen Mischling -der jedoch als Weißer gilt-, heirate, erwies sich das als Wunde, die nie wieder heilen sollte. Doch auch das Leben als Kanadieren mit ihren Kindern erweist sich für sie nicht als das gelbe vom Ei, denn sie muss sich anpassen und verstellen.
Eine weitere kleine Nebenerzählung ist die Beziehung von Jeannette zu ihrer Mutter Almanda. Über deren Herkunft hat ihre Tochter nämlich einige Dinge zu lernen.
Genaueres über Almanda berichtet der Erzähler in seinem -in Québec weit über 100 000 Mal verkauften Roman Kukum. Für dieses Buch erhielt er im Herbst 2020 die renommierte Auszeichung Prix littéraire France-Québec.
Fazit
"Atuk - sie und wir" ist ein sehr persönliches Buch, auf einer Seite ein wenig exzentrisch, jedoch ist es genau das, was die Leser:in in das Werk zieht. Besondere Begriffe und Orte werden hinten erklärt und man wird in das Leben der Innu hineingezogen. Das Buch berührt, zeigt Unrecht auf, wirkt ab und an in den „Sie“- Kapiteln ein wenig zu verträumt, fast fiktiv, allerdings macht das natürlich den Zauber aus. Jean Michel lehrt die Leser:innenschaft mehr über die Welt seiner Vorfahren, über die Gesetze und den Status, den Einfluss der Kirche, die Entbehrungen, das ärmliche Leben, aber auch die Schönheit der Natur. Verfasst ist dieses Wissen sprachlich wunderschön, klar, eindringlich und empathisch. Große Empfehlung.
Atuk - sie und wir
von Michel Jean
erschienen bei Wieser Verlag
gebundene Ausgabe, mit Lesebändchen, ca.220 Seiten, 21,00€