Irgendwo im Nirgendwo findet auf zwei Feuerstühlen ein Ritt über Feuer und Eis statt. Auf der Vespa durch Island ist ein literarisches Roadmovie, das zeigt, wie leicht und unbeschwert Reisen sein kann, wenn man nicht lange nachdenkt, sondern einfach losfährt.
"Auf der Vespa durch Island" ist der zweite Teil der Abenteuer-Serie "Auf der Vespa um die Welt". Begonnen hat die Weltumrundung in den Vereinigten Staaten. Die Jungs von Motorliebe verschifften zwei rund dreißig Jahre alte Vespas nach Übersee und fuhren einfach mal so von Coast to Coast. Easyrider auf Italienisch sozusagen. Doch die Ostküste sollte nicht das Ende bedeuten, sondern lediglich eine Unterbrechung ihres Traumes von Freiheit auf zwei Rollern.
Während die meisten Islandbesucher im Südwesten der Insel am Flughafen Keflavik ankommen, gehen die beiden Vespas und ihre Fahrer nach vier Tagen im Bauch der Fähre Norönna im Osten, im Hafen von Seyðisfjörður, an Land. Gut gelaunt und voller Fahrtendrang starten sie ihre Vespas und lassen den wenigen PS freien Lauf. Es ist Juni und das Wetter ist isländisch durch und durch, kalt, nebelig und verregnet. Durch und durch kann hier leicht bis auf die Knochen bedeuten, wäre da nicht wasserdichte Regenkleidung und eine dicke Schicht Wolle darunter. Und ausserdem brennt in den Fahrern ohnehin das Feuer der Entdecker.
Ihre Rundreise beginnt gegen den Uhrzeigersinn "zitternd durch den Nordosten". Auf ihrem Weg treffen sie Sigfus Illugason, Betreiber eines Campingplatzes. Von ihm lernen sie seine Wahrnehmung vom Leben auf Island. Es ist die erste von vielen spannenden und unterhaltsamen Begegnungen mit den Bewohnern von Island und der Auftakt zu interessanten und humorvollen Interviews. Die Menschen sind sehr durch die Einsamkeit der Insel geprägt. Gerade mal 3 Menschen pro Quadratkilometer beträgt die statistische Bevölkerungsdichte. Doch tatsächlich ist der größte Teil der Insel noch viel einsamer. Rund zwei Drittel leben in und um die Hauptstadt Reykjavík.
In Akureyri nehmen sie mit ihren Vespas an einem Dragrace teil. Die Insel mag einsam sein, aber auf keinen Fall langweilig. Das bestätigt ihnen auch Hallorda Osk, Hobby-Drag-Race-Fahrerin und Mutter zweier Kinder: "Wenn ich Motorad fahre, bekomme ich wunderbar den Kopf frei."
"Verzaubert durch die Westfjords" setzen sie ihren Roadtrip fort in die Westfjorde zum einsamsten Hotel der Welt in Djúpavík. Eva Sigurbjörnsdottir ist die Chefin des Hotels. Sie und ihr Mann Asbjörn hat es vor langer Zeit hier her verschlagen, als sie die benachbarte Fischfabrik 1983 gekauft haben. 2 Jahre später kauften sie auch das Hotel und bauten es zu einem kleinen Juwel wieder auf. Fühlt man sich hier einsam? "Nein. Gerade das gefällt uns ja. Aber wenn du Zucker brauchst, wartest du manchmal 70 Tage drauf."
So ist es nicht verwunderlich, dass die Jungs von Motorliebe genau in dieser Region Paul, die Zapfsäule treffen und interviewen: "Eigentlich sollte ich hier arbeiten, aber die scheinen mich vergessen zu haben."
Nach so langen Tagen - die Sonne geht ja im Sommer nie richtig unter - auf dem Roller über einsame Schotterpisten und durch menschenleere Natur lockt "der süße Duft der Zivilisation". Sie erreichen den Südwesten und die Hauptstadt Reykjavík. Von der Größe her könnte die Stadt als Vorort zu mancher europäischen Metropole dienen. Doch im Gegensatz zu der Stille und Leere der Insel herrscht hier pulsierendes Leben und Highlife.
Auf diese Art geht ihr Roadtrip durch Feuer und Eis weiter und zu den holprigen Kilometern auf knatternden Vespas gesellen sich Begegnungen mit Menschen, Geschichten über Wege und Abzweigungen und Emotionen, die sie in Worten und Bildern festhalten.
23 Tage später erreichen sie wieder den Fährhafen und die Fähre Norönna, die darauf wartet, sie nach Hause zu bringen. Aber auch das dürfte nur eine Unterbrechung sein. Wohin es danach geht? Ich bin schon neugierig.
Fazit
"Um die Lust und den Mut zu finden, selbst etwas zu starten."
Genau das gelingt dem Buch auch. Die Autoren schreiben selber, dass ihr Buch "...kein Reiseführer, kein Abenteuerroman, keine Blaupause für ideale Rollertouren oder gar Selbstfindungstrips..." sei. Ist es auch nicht. Für mich war dieses Buch zu lesen wie Tagträumen mit einem Buch in der Hand. Tagträumen, weil es die schnellste Weise ist, wie man nach Island kommt und ohne langes Warten im Geiste über die holprigen Straßen der Insel braust. Zu groß wurde die Begierde die Insel zu erkunden, den Fahrtwind, so kalt er auch sein mag, im Gesicht zu spüren und die Freiheit auf den kleinen Rädern einer Vespa hochleben zu lassen.
Das Buch ist ein Vergnügen zu lesen, erfrischend munter, unterhaltsam und humorvoll geschrieben. Der einzige Wermutstropfen zeigt sich beim Blick in die eigene Garage - keine Vespa, nicht einmal ansatzweise ein Motorroller in Sicht. Stattdessen den eigenen Tretroller zu nehmen wäre ein neuer Ansatz "etwas selber zu starten". Aber vielleicht würde das den Bogen etwas überspannen.
Ebenso erfrischend ist ihre Art zu fotografieren. Klar, dass die beiden Vespas im Mittelpunkt stehen. Aber auch die inszenierten Bilder von den Begegnungen mit den Isländern sind nicht nach Anleitungen aus dem klassischen Fotolehrbuch gemacht. Lediglich bei manchen Fotos hätte ich mir gewünscht, dass sie schärfer sind oder besser bearbeitet.
"Denn es sind die erfüllten Träume, die uns reich machen."
Und jetzt fragt mich meine Frau, warum wir keine Vespa haben? Wie recht sie schon wieder hat!
Auf der Vespa durch Island
von Motorliebe - Dani Heyne, Michael Blumenstein, Marco Schmidt
147 Fotos (farbig), 13 Abbildungen (farbig), Format 16,7 x 24 cm,
erschienen bei Delius Klasing Verlag
Klappenbroschur, 192 Seiten, 25,60€ (A)
ISBN: 978-3-667-10700-8