Den Hang zum Destruktiven verliert Lars von Trier auch in seinem jüngsten Film nicht. Mit The House That Jack Built überschreitet er erneut moralische Grenzen – aber nicht bloß aus Freude zur Provokation.
Das Wort „Fuck“ schmückt seine Fingerknöchel und bildet einen unmittelbaren Ausdruck seiner Kunst. Der dänische Filmemacher, welcher nach eigenen Aussagen nicht nüchtern arbeiten kann, nackt Regie führt, wenn ihm danach ist, oder provoziert, indem er in Reden mit Hitler sympathisiert, findet seine Inspiration stets im destruktiven Exzess. Dementsprechend provozieren auch seine Filme unter anderem mit expliziten Gewalt- und Sexszenen das Publikum. The House That Jack Built bildet dabei keine Ausnahme. Über hundert Personen verließen während seiner Uraufführung auf den Filmfestspielen von Cannes den Saal – eine mögliche Antwort auf die zentrale Frage, welche Lars von Trier mit seinem Film in den Raum stellte?
Ein Dialog zwischen zwei Männern führt uns über die Ton-Ebene in die Erzählung ein und begleitet uns durch die in fünf Vorfällen und einen Epilog unterteilte Geschichte. Wir erfahren, dass einer der beiden Jack (Matt Dillon), der Protagonist des Films, ist. Er spricht mit einem Mann namens Verge über sein seine Taten, über Kunst und die Zusammenhänge, die er darin sieht. Die fünf Vorfälle erstrecken sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren und stellen wichtige Fragmente aus dem Leben des mehr als sechzigfachen Serienkillers dar. Dabei beugen sich die Bilder seiner Erzählung – auch seine Argumentation wird durch unterschiedlichstes Material wie dokumentarischen Aufzeichnungen, Werken aus der Malerei oder auch Aufnahmen von Glenn Gould untermauert. So könnte man meinen, es sei Von Trier selbst, der durch Jack seine ungeschönte Meinung preisgibt.
Er scheut sich nicht davor, durch Zeitlupen, Zeitraffer, Jump Cuts, die Vermischung mehrerer Filmformate in Farbe als auch Schwarzweiß oder durch die direkte Interaktion des Protagonisten mit der Kamera – im Sinne von Bob Dylans legendärem Musikvideo – eine dennoch kompakte Stilistik einzuarbeiten, um das Bewusstsein bezüglich der Gemachtheit seines Werkes aufrecht zu erhalten. Die geschilderten Vorfälle werden wie gewohnt hand-held gefilmt. Die verwackelten, nahen Einstellungen vermitteln eine Nähe, welche der Kamera mit ihrem beobachtenden Blick als eigenen Akteur in die Erzählung integriert. Selbst mit dieser direkten Betroffenheit, die Von Trier damit auslöst, schafft er es mit dem Fokus auf Dialogen und anderen charakterbildenden Details teilweise, dem Publikum selbst in tragischen Momenten einen Lacher zu entlocken.
Diese verständnisvolle Inszenierung des Inneren eines Psychopathen überschreitet moralische Grenzen, um uns mit einer Problematik zu konfrontieren, der wir nur allzu gerne ausweichen. Das mag mitunter der Grund sein, warum seine Vorführung auf Cannes mit Kommentaren wie „Gross!“ oder „Torturous!“ verlassen wurde. The House That Jack Built deshalb in seinem Wert zu degradieren, wäre naiv. Denn es wäre nicht mehr als ein von Hysterie erfüllter Versuch, vor Lars von Triers Konfrontation davonzulaufen. Davon abgesehen, dass er mit seinem Film eine formale Meisterleistung vollbracht hat, stellt er einen bisher leider auf Ablehnung stoßenden Versuch dar, Debatten über die (ethischen) Grenzen von Kunst und einer damit zusammenhängenden Wertung auszulösen. Ein Grund mehr, sich ein eigenes Bild davon zu machen.