Tully

Nach "Juno" und "Young Adult" kommt es nun zur dritten Kollaboration zwischen Jason Reitman und Diablo Cody. In Tully erzählen sie vom Leben einer überforderten Mutter und einer Nacht-Nanny, welche dieses auf den Kopf stellt.

Die weltweit meistgenutzte Suchmaschine antwortet auf den Begriff der Mutter mit überwiegend strahlenden Gesichtern, Umarmungen, Momenten der Freude. Auch, wenn diese Art der Repräsentation ihre Berechtigung hat, verdrängt sie andere Seiten der Maternität und schafft so ein eindimensionales Stereotyp. Tully wirkt diesem Bild entgegen, indem auch Momente, welche die Harmonie hinter der harten Arbeit einer Mutter zum verschwinden bringen, nicht unbeleuchtet bleiben. Die Erzählung setzt kurz vor der Geburt von Marlos (Charlize Theron) drittem Kind ein. Während Jonah (Asher Miles Fallica) autistische Züge aufweist und damit bereits die gesamte Aufmerksamkeit seiner Eltern verlangt, ist Drew (Ron Livingston) so in seine Arbeit vertieft, dass sich Marlo alleine um die beiden Kinder kümmern muss. Nachdem Mia auf die Welt kommt, scheinen ihre Erwartungen an das Leben langsam ganz von der Arbeit erstickt zu werden. Obwohl sie auf die Empfehlung einer Nacht-Nanny anfangs skeptisch reagiert, siegt die Überforderung letzten Endes über dem Ehrgefühl. Als Tully (Mackenzie Davis) vor der Tür steht, ist bereits klar, dass sich mehr als nur Marlos Schlafrhythmus verändern wird.

Dass das Drehbuch von Diablo Codys eigenem Leben inspiriert ist, macht sich in Tully deutlich spürbar. Der Bruch mit dem Klischee der glücklichen Mutter erweitert das Emotionsspektrum auf Aspekte, die in medialen Repräsentationen zumeist vernachlässigt werden. Dadurch scheint der individuelle Charakter durch die Mutterrolle und gewinnt so an Komplexität. Mackenzie Davis bildet als Tully – einem exzentrischen, jungen Energiebündel – einen Kontrast zur Gesamtstimmung und ändert mit ihrem Eintreten in die Geschichte den Ton des Films. Der Aufprall zweier Generationen und damit die Gegenüberstellung zweier aufeinander einwirkender Grundhaltungen bilden die Konsistenz der Erzählung. Codys Intention, erfrischende Frauenrollen zu schaffen, geht hier erneut auf.

Jason Reitman überzeugt mit einer ehrlichen und feinfühligen Inszenierung, welche die Beziehung zu den Charakteren unterstützt, anstatt sich selbst mit einer dominanten Ästhetik hervorzuheben. Die handgeführte Kamera verleiht dem Film eine Nähe, welche der trockene Humor, der eigensinnig und doch natürlich gezeichneten Persönlichkeiten, als auch Akzentsetzungen durch Jump-Cut-Montagen spielerisch, entschärfen. Dabei wird die Geschichte um Marlo stets mit einem optimistischen Augenzwinkern untermalt, ohne den Ernst des Inhalts zu kaschieren. Der Soundtrack besteht aus eigens dafür komponierten Songs von Rob Simonsen sowie Stücken von Künstlern wie The Velvet Underground und The Jayhawks. Jedes dieser an sich unbeschwert wirkenden Lieder wird von einem Hauch von Melancholie begleitet und unterstreicht so die Stimmung des Filmes und seiner Protagonisten perfekt.

Das organische Wesen von Tully scheint vor allem der Harmonie zwischen Cody und Reitman zu verdanken sein. Die daraus resultierende Einheit aus Inhalt und Form sollte selbst ein Publikum ansprechen, das sich nicht mit der Thematik der Mutterschaft identifizieren kann. Wer sich jedoch bewegte Bilder von Anne Geddes erwartet, wird wohl enttäuscht werden.

Tully
Regie: Jason Reitman
Filmstart: 31.05.2018
im Verleih von Thimfilm

Peter Freydl