Auf eigenen Beinen

Mit "Mein Name ist Leon" hat Kit de Waal eine bewegende Geschichte über einen kleinen, tapferen Jungen geschrieben, die einen nicht mehr so schnell los lässt.

Großbritannien in den 80er Jahren. Rassismus, die IRA, Polizeigewalt und Klassenunterschiede prägen das Land. Leon ist neun Jahre, für sein Alter aber ziemlich groß und geht locker als älter durch. Seine Mutter Carol ist weiß, der Vater ist schwarz. Der Sohn kommt nach seinem Vater und seine Hautfarbe ist ein wenig heller als die seines Vater. Trotzdem erweist sich das zu dieser Zeit nicht unbedingt als Vorteil. Doch die Beziehung zu Leons Vater hält nicht, die Mutter hat vor Kurzem von einem anderen Mann noch ein Baby bekommen. Jake ist weiß und mit einem blonden Haarschopf ausgestattet. Er ist all das, was Leon nicht ist. Nichtsdestotrotz liebt der Protagonist seinen kleinen Bruder von ganzem Herzen. Jakes Vater will - anders als Carol gehofft hat - nichts von ihr wissen und nach dem Vorfall fällt die Mutter, die früher schon an Depressionen gelitten hat, in ein noch schlimmeres Tief. Leon muss sich deshalb um seinen Bruder kümmern, geht teilweise nicht zur Schule und ist für Dinge zuständig, die nicht unbedingt in das Aufgabengebiet eines  9-Jährigen fallen sollten. Immer wieder landen Jake und er bei ihrer Nachbarin Tante Tina, die sich ihrer annimmt. Trotzdem versucht der Junge den Schein ihrer funktionierenden 3-Personen-Familie aufrecht zu erhalten, damit das Jugendamt nicht eingeschaltet wird. Als er eines Tages kein Geld mehr hat und sich bei Tina etwas leihen will, fliegt der schlechte Zustand von Carol auf und schlussendlich landen die zwei Kinder bei Pflegemutter Maureen. Die Dame mit jahrelanger Erfahrung, genannt Mo, hat einen speziellen Charakter und vor allem ein großes Herz. Schon bald aber wird Jake adoptiert und Leon muss allein bei seiner Pflegemutter bleiben. Immer wieder taucht seine richtige Mutter auf und verschwindet wieder, Sozialarbeiter geben sich die Klinke in die Hand und es ist für den Jungen keine einfache Zeit. Vor allem vermisst er seinen jüngeren Bruder und wünscht sich seine kleine Familie zurück. Für dieses Vorhaben verfolgt der Bursche im Sommer 1981 einen mutigen Plan, den es er umso dringlicher verfolgt, als seine Pflegemutter im Krankenhaus landet und er bei deren Schwester Sylvia einziehen muss.

Fazit

"Mein Name Ist Leon" ist ein Buch, das unter die Haut geht. Von der ersten Seite an, schafft es Kit de Waal den Leser zu fesseln und eine Bindung zu Charakteren aufzubauen. Sei es durch die aus Leons Perspektive geschriebene Sicht der Dinge und die sich daraus ergebende kindliche, aber trotzdem intelligente Denkweise. Oder auch durch die Beschreibung der Schauplätze, etwa eines Familienberatungszentrums und vor allem durch die Schilderung der Emotionen des Kindes. Außerdem lässt sie zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Ereignisse, wie beispielweise die königliche Hochzeit von Charles und Diana und Rassenunruhen, mit in ihre Erzählung einfließen.
Trotz der ernsten Themen werden ab und zu ebenso witzige Situationen geschildert, bei denen es einem warm ums Herz wird. Die Story ist weder kitschig noch auf künstlichen Herz-Schmerz aus, sondern wirkt einfach natürlich und real, was sicher auch durch die jahrelange Erfahrung der Autorin in ihrem früheren Arbeitsbereich bedingt ist. All das macht "Mein Name Ist Leon" zu einem großartigen Lesevergnügen.

Mein Name ist Leon
von Kit De Waal
erschienen bei Rowohlt Taschenbuch Verlag
Paperback, 320 Seiten, 15,50€ (A)
ISBN: 978-3-499-27230-1

Stephanie Ambros