Isolation Berlin im Gespräch über rauschende Nächte, Dichter und den Sehnsuchtsort Wien.
Kaum klettern die Temperaturen über 15 Grad, zeigt sich Wiens Schanigartenkultur von ihrer besten Seite und das anberaumte Interview mit Isolation Berlin wird kurzerhand nach draußen verlegt.
Die Band, so verrät es bereits der Name, kommt aus Berlin und besteht aus vier Jungs, von denen sich zwei (Sänger & Gitarrist Tobias Bamborschke und Gitarrist & Keyboarder Max Bauer) im Gastgarten des Radiokulturhauses zusammengefunden haben.
Die beiden stechen mit ihren Lederjacken und Schiffermützen schon von Weitem heraus, sie fallen auf und passen andererseits so gut nach Wien, den obligatorischen Radler vor sich und einem Gesichtsausdruck voller misstrauischer Neugierde.
Schwierig ist es nicht, die Zuneigung der Band zu dieser Stadt zu erahnen. Schon "Serotonin", der erste Song auf dem im Februar erschienenen zweiten Album der Band, entpuppt sich in seinem Refrain als kleine Ode an Wien. "Mitten in Berlin, träume ich von Wien, komm fahren wir dahin", sinniert Bamborschke, seine leeren Tage auf einer Parkbank zubringend.
Tobias: "Der Grund für diesen Text war eine Tourpause, in der ich mich danach gesehnt habe wieder loszufahren. Wien war immer eine besondere Station für uns, weil wir uns in Wien besonders wohlgefühlt haben, die Stadt uns immer so gut getan hat. Ich hab' dazu ein Buch gelesen, "Die Strudlhofstiege", ein Roman über Wien in den 20er Jahren. Das hat sich sehr gut gedeckt mit meinen Erfahrungen und ich hab mir mit dem Buch diesen schönen Wien-Traum ergänzt. Und so ist diese Sehnsucht entstanden.“
Ein Glück also, dass sich Serotonin auf Wien reimt und Wien sich auf Berlin. Es scheint ein reges Interesse aneinander zu bestehen, zwischen den Künstlern beider Städte, des einen Wohnort ist des anderen Sehnsuchtsort.
Tobias: "In beiden Städten findet viel statt, da war immer schon viel Dichtung und Musik und Kunst in beiden Städten. Ich hab schon das Gefühl, dass es da so was wie eine Verbindung gibt. Hier in Wien ist aber eine andere Stimmung, mehr Ruhe als in Berlin. Nicht so aggressiv, sanfter."
Vergifte dich, so der Name des neuen Albums, handelt von dunklen Stunden und das nicht nur im metaphorischen, sondern auch wortwörtlichen Sinne. Die Nacht liefert oft das Bühnenbild, vor dem sich die Songs abspielen, Songs, in denen sich geliebt und getrennt wird, in denen getrunken, vermisst, geflucht und verflucht wird.
Tobias: "Tagsüber bin ich oft nervös, aber die Nacht macht mich ruhig. Nachts kann man sich auch besser verstecken, alles fühlt sich irgendwie schöner an, man kommt zur Ruhe und erlebt die Welt anders. Und Ausgehen. Konzerte sind schöner nachts."
Man kann sich Isolation Berlin wirklich schwer dabei vorstellen, wie sie Nachmittags-Slots auf Festivals bestreiten, ihre Songs brauchen die Dunkelheit, brauchen das Hintergrundrauschen von aneinanderstoßenden Bierflaschen, den Geruch von abgestandenem Nikotin und dem vermeintlichen Versprechen, dass morgen vielleicht alles ein bisschen besser sein könnte, dass die heutige Nacht alles verändern könnte, diesmal wirklich.
Den Tag, so sagen Isolation Berlin, verbringen sie meistens schlafend und es wundert einen nicht wirklich, den tagsüber blüht auf, wer für Routinen gemacht ist, Struktur mag und braucht, während die Nacht jenen eine Heimat bietet, die sich nicht so ganz fügen können und wollen, in gesellschaftliche Abläufe, die dem "Alles ist möglich-Rausch" jeden Abend aufs Neue verfallen.
Dennoch liegt es nicht so fern anzunehmen, dass das Tourleben, das mit dem Musikerdasein einhergeht, seine Schattenseiten mit sich bringt und die destruktiven Verlockungen die einem dabei begegnen, gefährlich sein könnten. Vor allem für jene, deren Gemüt anfällig für Depressionen ist.
Doch der Sänger widerspricht:
Tobias: "Es ist immer das Beste, unterwegs zu sein und was zu machen. Zu reisen, um klarzukommen. Das ist das Einzige, das wirklich hilft gegen Schwermut, rauszukommen und unterwegs zu sein."
Es hat eine gewisse Ironie, dass diese Worte von demselben Menschen kommen, aus dessen Feder auch Zeilen wie "Wer hat das Glück nur in der Ferne sucht / der hat sein Leben selbst verflucht / denn die Ferne, die ist niemals da, wo wir gerade stehen" stammen. Eine, von vielen Zeilen aus den Songs von Isolation Berlin, die so wahr sind, dass sie wehtun.
Tobias Bamborschke schafft es, die Art von Songtexten zu schreiben, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, deren beste Stellen man sich ins Tagebuch und auf Häuserwände schreibt. Texte, die einen schmerzlich an Liebeskummer erinnern, die Art von Liebeskummer, der nie so ganz aus einem zu verschwinden vermag und der mit jeder Trennung, mit jeder Enttäuschung die einem widerfährt, neu aufplatzt und von vorne beginnt. Das Los der Romantiker, der Fluch der Melancholiker.
Vergifte Dich, führt fort, was das erste Album Und aus den Wolken tropft die Zeit begonnen hat, ist in seiner Gesamtstimmung aber noch ein bisschen grauer und trostloser. Es geht wieder um Liebe oder eher um das Verschwinden der Liebe, das was nach der Liebe kommt.
Die Mädchen in Bamborschkes Songs, sie heißen Annabelle, Lisa und Marie und so sehr man sie vor sich sieht, wie sie im Sommerkleid auf Fahrrad-Gepäckträgern sitzen oder sich in am Heimweg von der Bar die Tränen aus dem Gesicht wischen, so sehr hat man gleichzeitig das Gefühl, dass die Namen dieser Mädchen eher Pseudonyme sind, für Gefühle die sich in Bamborschke selbst befinden, für die ein- und dieselbe Liebe, die ein- und dieselbe Sehnsucht.
Tobias: "Teils, teils. In der Regel haben die Namen etwas zu tun, mit dem was ich schreibe. Manchmal sind es tatsächliche Namen. Eigentlich ist es für mich eine große Hilfe, wenn ich die Namen verwende, weil es mich in die Situation katapultiert oder mir hilft in die Situation zu kommen. Genauso wie bei Wien, wenn ich "Wien" ausspreche, dann hab ich dieses Glücksgefühl und deshalb ist es für mich persönlich immer wichtig, die Namen auszusprechen."
Sein Handwerk beherrscht Tobias Bamborschke jedenfalls gut. Man erkennt sich wieder in seinen Texten, sie liefern einige Anknüpfungspunkte zur Identifikation, etwas, das alle großen Lyriker auszeichnet.
Tobias: "Viele Einflüsse kommen bei mir aus der Lyrik. Die meisten Texte sind inspiriert von Dichtern, mehr als von Sängern. Die Idee war, meine Liebe zur Lyrik mit Musik zu verbinden. Das war von Anfang an ein Anspruch, den wir hatten."
Zahlreich ist die Liste der Dichter, die Tobias inspiriert haben, er nennt Hesse, von Eichendorff, Rilke und einige mehr, die ihm geholfen hätten, seine Sprache zu finden. Ein bisschen gleicht Bamborschke wohl auch den Protagonisten mancher Werke der von ihm genannten Dichter. Melancholische Tagträumer auf der Suche nach einem Gefühl das in der Kindheit verloren ging, die Suche nach Glück und romantische Verklärung.
Was genau denn Glück für sie bedeute, wäre unmöglich zu beantworten, meinen Isolation Berlin. Auf das Drängen, es bitte dennoch zu versuchen, offenbart sich, was wohl hinter der meisten großen Kunst steckt. Sich validieren zu wollen, durch ein geschaffenes Produkt und der Schaffensdrang, der daraus entsteht.
Tobias: "Glücklich bin ich immer, wenn ich es geschafft habe, einen Song zu schreiben, mit dem ich zufrieden bin. Das ist für mich eigentlich das größte Glücksgefühl, wenn mir etwas einfällt, mit dem ich zufrieden bin, etwas Neues."
Max: "Das Gefühl, dass etwas fertig geworden ist, etwas woran man lange gearbeitet hat."
Tobias: "Wenn man einen Song geschaffen hat, der einem selber etwas bedeutet und der etwas ausdrückt. Wenn man Worte findet, nach denen man ewig gesucht hat. Das ist für mich, glaube ich, das größte Glück."
Irgendwo spürt man es wohl also doch immer, wo sie sich befindet, die Quelle des eigenen Glücks.
Der Albumtitel der neuen Platte jedoch verweist auf das schnelle Glück, Drogen, Alkohol, Rauschzustand. Vergifte dich, Ironie oder ernst gemeinte Aufforderung?
Tobias: "Der Titel ist nicht als Ratgeber gemeint. Alle Songs sind beobachtend. Konflikte und Beobachtungen, keine Slogans. Vergifte dich ist einfach eine Überschrift. Unsere Albumtitel sind immer wie eine Art Romantitel. Jedes Album erzählt eine Geschichte. Es ist ein guter Titel, für die Lieder, die da drauf sind, weil sich dieses Vergiften durch die Themen und die Geschichten, die erzählt werden, durchzieht. Vergifte dich ist als Überschrift und Titel zu verstehen, nicht als Rat oder Befehl.
Max: "Man sollte uns auch nicht um Rat bitten."
Bei all diesen Beobachtungen über zerplatzte Hoffnungen und zerbrochene Liebe, sehen sich Isolation Berlin nun eher als Träumer oder als Realisten?
Tobias: "Ich bin träumender Realist. Alle Songs und Gedichte sind eine Mischung aus Träumen und Realität. Ich finde diese Schnittstelle am spannendsten. Das Zusammenspiel aus Traum und Realität ist wichtig. Nicht das eine, oder das andere, sondern dieser Wechsel zwischen Träumen und der Realität. Wie sie sich abwechseln oder wie sie reagieren, wie die Realität auf die Träume reagiert und was die Realität mit den Träumen macht. Das eine geht nicht ohne das andere.
Max: "Ich glaube wir sind eher Träumer. Sonst hätten wir die Band wahrscheinlich gar nicht erst gestartet. Wenn wir es realistisch gesehen hätten, hätten wir es wahrscheinlich gelassen..."
Tobias:" …und eine solide Ausbildung gemacht."
Die im Interview immer wiederkehrende Selbstironie der beiden und der Zynismus mit dem sie gepaart ist, lassen Züge einer Persönlichkeit vermuten, wie es sie so oft gibt, unter Künstlern: Verschreckt und auch ein wenig enttäuscht vom Leben, aber ausgestattet mit einer guten Seele, die sich auf fast schon kindlich-naive Weise nach ein bisschen Glück und Zuneigung sehnt.
Nach all diesen Erfahrungen, mit all diesen Gefühlen, sind sie da noch Optimisten oder schon Pessimisten?
"Optimisten!", kommt es dann sofort von beiden und zum ersten Mal in diesem Interview beinahe wie aus der Pistole geschossen. Es scheint ja doch ein wenig Hoffnung zu geben für all die traurigen Melancholiker dieser Welt. Und für Isolation Berlin.