"Wir sehen uns hier eher als Außenseiter"

Hella Comet haben mit "Wild Honey" ein neues Album veröffentlicht - mit diesem und einer gesunden Portion Gelassenheit im Gepäck ging es zum Showcase-Festival Eurosonic. Die Grazer Noise-Band im Gespräch mit fm5 über genretechnische Grenzen, Graz und Groningen.

Einen der allerersten Auftritte des Eurosonic Festivals bestreitet das Grazer Quartett Hella Comet in einem kleinen Lokal. Ein energiegeladenes Konzert, voller Noise-Elegien und schräger Harmonien. Besonders die Songs des neuen Albums Wild Honey stellten sich als ganz starke Würfe heraus. Vor ihrem zweiten Auftritt bzw. nach erfolgreicher Parkplatzsuche (kein leichtes Unterfangen in Groningen) fanden die vier Bandmitglieder Zeit, über ihre Eurosonic-Eindrücke, musikalische Ansprüche und lokale Verankerung zu sprechen.

Ich war im Oktober bei einer Feedback-Session vom Waves Festival, wo der Chef des Iceland Music Export gemeint hat, er würde sich bei eurer Musik am liebsten ausziehen, in Pudding wälzen und gegen die Wand schmeißen. Was eines der wenigen richtigen Komplimente bei dieser Veranstaltung war - wie würdet ihr euch aber beschreiben?
Lea:  Das ist eine schwere Frage. Für mich ist es am ehesten so eine Art “Augen zu und los”.
Markus: Das finde ich eine gute Metapher, das kann man schon so sagen. Es ist aber eher durch die Livesituation bedingt. Wenn man das Songwriting und die Strukturen betrachtet, dann kristallisiert sich vielleicht ein Fluss raus oder ein Gewässer. Das ist dann manchmal ruhiger, manchmal ein bisschen wilder und es gibt Stimmungen, wo wir uns eher in wilderes Gewässer hineinwerfen. So würde ich das beschreiben.
In Hella Comet haben sich glücklicherweise vier Leute gefunden, die sich ganz gut verstehen und auch musikalisch super zusammen arbeiten. Also über dieses Verständnis, muss ich sagen, bin ich schon sehr froh, das sind ja keine Leute, die es wie Sand am Meer gibt. Und vor allem in Graz oder Österreich allgemein muss man solche Menschen auch erst einmal finden. Vor allem Sänger sind ja sehr schwer zu finden, da ist es schon wichtig, jemanden wie die Lea zu haben.
Lea: Wie würdest du uns denn beschreiben?

Mir gefällt eure Antwort eigentlich sehr gut, weil ich das neue Album gleichzeitig sehr stimmig und mit den vielen unterschiedlichen Sounds doch unglaublich heterogen empfunden habe.  Das ganze lebt doch stark eine Art Live-Spirit oder?
Markus: Sobald wir auf der Bühne sind, betreten wir eine völlig eigene Ebene und lassen uns Vollgas darauf ein. Das macht uns auf natürliche Art und Weise einfach Spaß. Im Proberaum ist das natürlich ein wenig anders, aber doch ähnlich.

Ihr habt relativ viele Bereiche, die andere Bands gerne auslagern, in der eigenen Hand behalten, beispielsweise das Booking. Wie wichtig ist euch diese “Do it yourself”-Mentalität?
Markus: Das ist auf jeden Fall seit Jahren genau unser Ding. Man muss ja immer die richtigen Leute finden, eine gute Bookingagentur, wobei uns dabei Sympathie fast am Wichtigsten ist. Das ist für uns eine Vertrauenssache, wenn wir mit jemandem zusammenarbeiten, das muss komplett passen.
Lea: Und in unserem Fall hat es sich so ergeben, dass wir die Aufgaben schön verteilen können und das sehr gut funktioniert…
Markus: Das ist genau der glückliche Umstand, dass wir vier Leute sind, wo jeder nicht nur sein Instrument hat, sondern auch einen bestimmten Aufgabenbereiche. Das ist alles einfach schon eingespielt.

In der Steiermark und speziell in Graz findet man wirklich viele Noise- und Lo-Fi-Bands, wie beeinflusst das? Spielt diese Szene vor der Haustür eine Rolle oder sollte man die Bedeutung von lokaler Verankerung nicht überwerten in Zeiten, in denen man einen Song ins Internet stellt und die Sache ins Rollen kommen kann bzw. man mit Menschen auf der ganzen Welt Musik produzieren kann, ohne sich jemals zu sehen?
Lea: Diese Szene hat es teilweise noch gar nicht so gegeben, als wir begonnen haben…
Markus …sondern ist mit uns entstanden, was irgendwie schon sehr geil ist. Und ja, es spielt schon eine Rolle - weil es wichtig ist, wenn man weiß es tut sich um einen herum viel Gutes und man kann sich dabei natürlich gegenseitig bereichern.
Lea: Und vor allem konstruktiv kritisieren!
Markus: Absolut. Es gibt nichts Furchtbareres als eine Szene mit Bands, die sich nicht gegenseitig pushen. Ich finde es auch recht schön, dass hier so eine Art “Noise-Hochburg” entstanden ist, wobei das vor ein paar Jahren vielleicht sogar noch stärker war.

Von Graz nach Groningen. Welche Bedeutung hat das Eurosonic für euch? Ihr seid ja immerhin extra für diese zwei Gigs angereist.
Jürgen: Es ist vor allem die Chance, sich zu präsentieren, es sind viele Fachleute aus der Musikbranche da. Vor allem ist es schön für uns, hier zu sein, da wir uns ja sowieso unseren Fokus nicht rein auf Österreich legen. Wir erwarten uns aber natürlich nicht zuviel, weil wir schon wissen, dass hier wahnsinnig viele Bands spielen und es natürlich mit Glück zu tun hat, dass uns die richtigen Leute hören und zum Konzert kommen.
Aber das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen, wir sind froh, dass wir für zwei Shows eingeladen worden sind.
Markus: Also wenn man sich meiner Meinung etwas erwarten für sich darf, dann sind es gute Konzerte. Das wäre uns vielleicht am Wichtigsten!

Ihr habt gerade gesagt, dass ihr euch als internationale Band versteht: Wie steht ihr zu dem nationalen Konzept hinter dem Eurosonic, dass jedes Land “seine” Bands hierhin schickt. Ist es eine Schwäche oder eher die Chance, die Vielfalt und die Lebendigkeit eines Musikmarktes aufzuzeigen?
Franz: Eine Stärke ist es nicht, weil was sagt die Herkunft schon aus? Wir persönlich sind froh, dass wir hier sind, weil wir keine Promoagentur und kein Major Label hinter uns haben, aber wir sehen uns ein bisschen als Außenseiter da.

Mir fällt auf, wenn man so in den Venues Gespräche über Bands mitbekommt, dass die oft vor allem über Tags wie “austrian” oder “icelandic” geführt werden, die dann natürlich oft konnotiert sind mit bestimmten Musikrichtungen.
Markus: Ich glaube es gibt in jedem Land so eine Vorreiterrolle, in Österreich vielleicht ein bisschen weniger als in größeren Ländern oder Musikmärkten wie England oder Frankreich. Klar nennt man bei Island als Erstes immer die Björk, aber das greift zu kurz.
Franz: Man muss es so sehen, dass wir auf einem Festival spielen, wo zumindest zwei Legenden aus Österreich spielen, Fuckhead und Attwenger nämlich. Also ist es eh cool, weil wenn die daher fahren, dann können wir das auch.

Das sowieso!
Franz: Es ist eh cool und da gibt es ja genug interessante, auch junge Bands wie etwa König Leopold. Das Eurosonic ist im Endeffekt nichts anderes als ein Riesen-Bandwettbewerb mit einem schöneren Kapperl oben drauf und für uns natürlich super, weil wir auch einmal die Chance haben, uns in die Auslage spielen zu können.

Apropos neue Bands: In eurem Song “Tinker Boat” heißt es “Far away from home / I see you, I find you”. So far away ist Groningen zwar nicht, aber welche interessanten Acts habt ihr hier schon gefunden?  Oder was würdet ihr gerne sehen?
Jürgen: Wir hatten gestern wegen unseres ersten Auftritts  eigentlich gar keine Zeit, selber etwas anzuschauen. Aber es gibt da eine serbische Band, die ganz cool sein soll, Repetitor heißt die und sie singen auf serbisch. Aber wir haben uns da nicht so intensiv mit durch das Programm durchgehört.
Franz: Da ist glaube ich auch ziemlich viel “Schas” dabei. Ich war in der Angelegenheit jetzt nicht so aktiv, da zählt für mich eher, unseren Auftritt gut zu spielen.
Markus: Also ich glaube da gibts genug gute Sachen, es sind ja alleine schon bei den österreichischen Bands einige gute dabei.

Eure Musik hat zwar nichts mit klassischem Postrock zu tun, für mich ähnelt die Struktur diesem aber schon ein bisschen. Dieses langsame Entwickeln eines Songs, dieses auf und ab von Rhythmus und Lautstärke hat ja nicht so viel mit dem konventionellen, linearen Songkonzept zu tun. Eure Bandgeschichte passt da irgendwie dazu, bis zum ersten Album hat es ja zehn Jahre gedauert - hat das mit euren Ansprüchen an Musik zu tun?
Jürgen:  Das hat viel mit den Umständen und Zufall zu tun, Lea war zum Beispiel nicht immer im Lande. Wahrscheinlich hätten wir sonst schon vor zehn Jahren ein Album gemacht. Aber wir arbeiten nicht so zielstrebig, wobei an einem gewissen Punkt immer der Ansporn kommt, etwas zu einem Album zu machen. Es ist ein bisschen planlos und hat sich so ergeben, ist aber kein bewusster Stil. Jetzt haben wir halt eben alle Zeit für Musik und Konzerte, deshalb hört man im Moment mehr von uns.
Markus: Zu unseren Ansprüchen: Wir haben alle unsere Einflüsse und jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass eventuell ein guter Song entsteht.
Jürgen: Der Anspruch, wenn man es auf den Punkt bringen will, ist, dass jeder glücklich mit dem Ding ist. Wenn da einer nicht gut damit leben kann, dann wird das auch nicht weiterverfolgt. Wir probieren viel herum, bis es dann wirklich passt. Ansonsten kann man zwischendurch etwas fallen oder liegen lassen und greift es dann später einmal wieder auf und es funktioniert dann, das gibt es ja immer wieder.
Franz: Wir machen unser Ding, dass man gar nicht so beschreiben kann, beziehungsweise machen wir uns gar nicht wirklich Gedanken darüber, was es ist. Über unsere erste Platte wurde Postrock geschrieben, jetzt steht halt immer Shoegaze dabei und wir machen das ja selber auch, weil es uns egal ist. Mal schauen, was in drei Jahren darauf steht.
Markus: Die Etikettierung ist uns eigentlich komplett egal.
Lea: Wir wundern und amüsieren uns dann oft, was unsere Musik anscheinend alles ist.
Markus: Vor allem die Vergleiche mit anderen, teils sehr großen Bands sind sehr charmant und schmeichelhaft, aber vielleicht doch ein bisschen weit hergeholt. Aber jeder hört natürlich ein bisschen etwas anderes heraus und vergleicht das, was er grad kennt mit unserer Musik.
Franz: Was sich durchzieht, ist, dass wir unsere Musik als Noise bezeichnen, das haben wir vor zehn Jahren auch schon gemacht. Aber selbst das wird dann gern noch weiter spezialisiert, etwa in Noise-Rock und Noise-Pop. Teilweise gründet die Etikettierung dann nur auf einem einzelnen Akkord. Und natürlich gibt es immer Leute, die meinen, Noise müsse aber so und so klingen.

Euren Schlusssong “New Dawn” wollte ich eigentlich als Anlass nehmen, zu fragen, welche Pläne ihr habt, was quasi der nächste Morgen für euch bringen soll. Aber beschäftigt ihr euch überhaupt mit großartigen Pläne oder gilt auch hier “Augen zu los”?
Jürgen: In einem Jahr wollen wir möglichst viele Konzert gespielt haben, weil das Album gerade heraußen ist, das würde Sinn machen. Aber viel mehr Planung ist da echt nicht dabei.
Franz: Wir haben für unser Album noch mehr Songs aufgenommen als da jetzt tatsächlich drauf sind, mal schauen, was mit denen noch passiert. Aber grundsätzlich konzentrieren wir uns jetzt mal auf die Auftritte, da gibt es viele Anfragen und wir werden die nächsten Monate europaweit unterwegs sein.
Markus: Das ist auch glaube ich der beste Zugang, den man haben kann. Wünsche und Träume hat man natürlich, aber man sollte ein bisschen neutral oder gelassen dazu eingestellt sein, ansonsten verkauft man sich vielleicht mit Songs die man gar nicht so richtig schreiben wollte.

Dankeschön!

Hella Comet - "Wild Honey"
Noise Appeal Records
VÖ: 20.11.2013

Julius Schlögl