Heiter bis wolkig

Regisseur Olivier Assayas liefert mit "Clouds of Sils Maria" ein packendes Drama übers Älterwerden, Abhängigkeiten und das Filmbusiness. Juliette Binoche und Kristen Stewart laufen in diesem aufwühlenden und zugleich ironischen Film eingebettet in wunderbare Bilder zu Höchstform auf.

"Wilhelm is dead." Eilig hingekritzelte Worte auf einem Schmierzettel läuten den Beginn einer Geschichte vom Älterwerden ein. Während Maria Enders (Juliette Binoche), eine am Karriereplateau angelangte Filmschauspielerin, auf einer Zugfahrt nach Zürich per Telefon ihre Scheidung abzuwickeln versucht, macht ihre Assistentin Valentine (Kristen Stewart) mit dieser Nachricht den Anlass der Reise hinfällig. Die Laudatio, die Enders auf ihren Mentor Wilhelm Melchior auf einer Zürcher Preisverleihung halten sollte, gerät zum Nachruf. Zwanzig Jahre zuvor hatte sie in dessen Theaterstück "Maloja Snake" debütiert und darin ihre Paraderolle manifestiert, nun hat sich der Schriftsteller - der Gerüchten zufolge an einer Fortsetzung des Werkes arbeitete - das Leben genommen. Enders ist - wohl auch eingedenk ihres eigenen Alterns - schwer getroffen und wie unter Schock. Dem Business ist das egal, Shootings für Chanel, Interviews und Dinnertermine wollen dennoch eingehalten werden - das Treffen mit einem Theaterregisseur (Lars Eidinger), der sie als Idealbesetzung für seine nächste Arbeit auserkoren hat, bleibt da noch als eine der angenehmeren Erfahrungen in Erinnerung. Die Rolle, die er Enders anbietet, ist überraschend: Hatte sie in "Maloja Snake" noch die blutjunge, verführerische und schlussendlich auch verdammende Sigrid gespielt, die ihr älteres Gegenstück Helena in den Tod treibt, ist im Remake die umgekehrte Rollenverteilung vorgesehen. Maria Enders kann sich dies nicht vorstellen, sie lehnt ab: "For me playing Sigrid was more than a role."

"Time's gone by and she can't accept it. Me neither, I guess"

Wenig später hat der Film das graue Zürich zurück- und sich in den erhabenen Schweizer Bergen niedergelassen. In Sils Maria eben, dem früheren Wohnort Melchiors, wo Enders und Assistentin Valentine gemeinsam die Rolle einstudieren. Die ebenso skeptische wie nostalgische Enders hat sich für das Engagement entschieden. Was freilich nicht heißt, dass damit jegliche Zweifel und Ängste ausgeräumt sind: Stets schwingt das unausgesprochene Risiko mit, an dieser Rolle zu scheitern und gleichzeitig die alte Leistung in "Maloja Snake", ja die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen. Hautnah miterleben muss das Enders' Assistentin Valentine, der man zu Beginn des Films die Tiefe ihrer Figur noch gar nicht zugestehen mochte. Die anfängliche, glatte Souveränität weicht einer Anfälligkeit für Konfliktpotenziale und einer ausgeprägten Sensibilität, Kristen Stewart wandelt sich auf der Leinwand vom Twilight-Starlet zur beeindruckend ausdrucksstarken Persönlichkeit, die sich selbst aufreibt.
Es ist fraglos eine heikle Konstellation - die ältere Schauspielerin, die strauchelnd in einer Art Midlife-Crisis festhängt, und die junge, nach Selbstverwirklichung strebende Assistentin, die beide gemeinsam im abgeschiedenen Haus Wilhem Melchiors an einer Zukunft arbeiten, welche die Vergangenheit nicht zerstören, sich aber auch einer Auseinandersetzung mit ebenjener nicht entziehen will.

Konfrontationen sind unausweichlich, Maria Enders fühlt sich durch die Jugend ihrer Assistentin angegriffen und in ihren Problemen zuwenig unterstützt, Valentine kommt sich unverstanden und überflüssig vor. Nicht zuletzt an Fragen der Schauspielkunst hängen sich die Konflikte auf, die zwischen den beiden - oft unausgesprochen und latent verborgen - schweben und solcherart auch eine selbstreflexive Spielweise des Mediums Films anbieten: Welche Rolle spielt das Alter im Business? Geben Trash-Filme Anlass zu Kulturpessimismus? Und sagt die ausgeprägte Neigung zu Skandälchen jetzt mehr über eine Schauspielerin oder über die Filmwelt und die Aufmerksamkeitsökonomie der Yellow Press aus?
Eine Frage, die sich nicht zuletzt stellt, da die jüngere Hauptrolle der Sigrid in "Maloja Snake" vom aufstrebenden It-Girl Jo-Ann Ellis (Chloe Grace Moretz) gespielt werden soll, dass bislang vor allem durch betrunkene Autofahrten, Prügeleien und freche Ansagen aufgefallen ist. Enders kann sich mit dem Gedanken, "ihre" Rolle an so jemanden zu verlieren, nicht anfreunden, Valentine wiederum bezeichnet Jo-Ann als ihre "Lieblingsschauspielerin". Ideologische Gräben der Filmkunst brechen im beschaulichen Tal auf, ebenso gekrängte Eitelkeiten und angedeutete erotische Begehrlichkeiten.

Regisseur Olivier Assayas verortet in den pittoresken Schweizer Alpen ein langsames, subtiles Drama entlang biografischer Bruchlinien, ästhetischer Fragen und dem Kampf um eine Zukunft mit Perspektive. Dass die Handlung dabei doch etwas konstruiert wirkt, ist angesichts großartiger schauspielerischer Leistungen verkraftbar - Juliette Binoche und Kristen Stewart liefern sich ein intensives und zehrendes Duell. Ihre Verletztlichkeit liegt im Momentum, sich einander geöffnet zu haben und dabei gleichzeitig ausgeliefert zu haben - wie eine Spiegelung des Theaterstücks "Maloja Snake" entwickeln sich auch auf der filmischen Ebene Abhängigkeiten und schwierige Beziehungen der Figuren. Film und Theaterstück verweisen aufeinander und flechten ein intermediales Netz aus offenkundigen oder subtilen Parallelen, Zerrbildern und Dependenzen. Dialogsequenzen machen sich selbstständig und verschleiern ihre Herkunft, indem sie offenlassen, auf welches Personenpaar sie jetzt gemünzt sind.
Das namensgebende Wolkenphänomen der Malojaschlange verirrt sich ins Leben: Plötzlich aufziehende, bodennah dahinkriechende Schwader, in deren Nebel alte Ordnungen aufbrechen und klare Antworten lange zu suchen sind.


 

"Clouds of Sils Maria"
Regie: Olivier Assayas
VÖ: 19.12.2014

Julius Schlögl