Ruth Beckermann nimmt sich in ihrem neuesten Essayfilm der Walhdeim-Affäre an, um zu zeigen, wie wirkungsvoll die Macht des Populismus sein kann.
Kurt Waldheims Stimme ist der erste vernehmbare Klang auf der Datenplatte der Raumsonde Voyager 1. Sollte jemals außerirdische Intelligenz darauf stoßen, wäre er es, der diese stellvertretend für die gesamte Menschheit begrüßt. Ruth Beckermann stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine Familie der Menschen gebe. Dass unsere Geschichte eher das Gegenteil symbolisiert, soll Waldheims Stimme verdeutlichen. Die Aufdeckung der NS-Vergangenheit des Mannes, der UN-Generalsekretär und österreichischer Bundespräsident war, schildert Beckermann in ihrem Doku-Essay Waldheims Walzer. Mit dem Schwerpunkt auf den letzten Monaten vor der Präsidentschaftswahl ergibt sich ein Bild, welches vor allem aus der Sicht der aktuellen Medienwirklichkeit von Bedeutung ist.
Als vom musikalisch beschwingten Vorspann direkt zu monochromen Aufnahmen einer Demonstration am Stephansplatz übergeleitet wird, es wiederholt „Waldheim nein!“ aus der Menge schallt, ist bereits der Grundton des Films spürbar. Dieser Mitschnitt soll zu den wenigen der gezeigten gehören, welche von Beckermann selbst stammen. Die meiste Zeit hält sie sich auf der Tonspur auf, um uns durch das gezeigte TV-Archivmaterial bis zur Wahl Waldheims zu führen. Dabei streifen wir Fragmente von Interviews, Nachrichtensendungen, Gerichtsaufnahmen, Hearings und andere Formate – manches davon bisher unveröffentlicht.
Nach einer Einsichtnahme in seine Wehrstammkarte kommt es zu den ersten Ungereimtheiten bezüglich seines bekannten Lebenslaufes. Was Waldheim, der nach eigenen Angaben nur seine Pflicht als Soldat erfüllte, eine Verleumdungskampagne nennt, wird mit der Enthüllung weiterer verschwiegener Details seiner Biografie zu einem Problem im Bezug auf die Identität Österreichs. Während es damit einerseits zur Aufarbeitung der NS-Zeit kam und und die Opferthese langsam zu kippen begann, fühlten sich andererseits 53,9% der österreichischen Wählerinnen und Wähler dazu angetrieben, am 8. Juni 1986 ihre Stimme für Waldheim abzugeben. So zeigt Beckermann, wie die Schilder von Demonstrierenden in der Menschenmenge versinken, um kontrastierend zu Waldheim zu schneiden, welcher auf einer Wahlveranstaltung mit einem Lächeln im Gesicht eine Blaskapelle dirigiert.
Ihre Auszeichnung mit dem Glashütte Original – Dokumentarfilmpreis auf der Berlinale 2018 mag auch mit der Aktualität der aufgegriffenen Thematik zusammenhängen. Gerade in Zeiten, in denen Schlagworte wie fake news und alternative facts im politischen Diskurs etabliert sind, schafft Beckermanns Film eine zeitgemäße Perspektive auf die Waldheim-Affäre. Indem sie den Blick von den 1980er-Jahren ins Jetzt lenkt, kommt ein Appell an die Medienkompetenz zum Ausdruck, welche im digitalen Zeitalter geforderter ist denn je.