SHY: 23 Jahre sind genug

Bereits im Jahr 1991 gegründet, zählten SHY aus Linz weit über die Grenzen Österreichs hinaus zu den Fixsternen im (deutsprachiger) Indie Pop-Kosmos, ehe die Bandgeschichte im Vorjahr abrupt endete. Exklusiv für FM5 lässt Sänger und Gründungsmitglied Andreas Kump die bewegte Bandgeschichte Revue passieren.

SHY wurden 1991 gegründet und 1992 fanden die ersten Liveauftritte statt: Was war damals die Initialzündung die Band zu starten und welche Bands zählten damals zu euren Haupteinflüssen?

Ich hatte mich seit Mitte der 1980er immer in Musikzusammenhängen bewegt. Einserseits war ich sehr bald Teil der Linzer Mod-Szene. Dadurch ergaben sich auch Begegnungen und Kontakte mit anderen lokalen Subkulturen. Andererseits kam ich so auch gerade zur rechten Zeit in die Kapu, mehr oder minder ein damals von Punks unterwandertes Jugendzentrum, wo sich bald die amerikanischen Hardcore-Bands der Stunde die Türschnalle in die Hand gaben. Das war spannend mitzuerleben und ein ganz anderer Gegenkulturansatz als jener der Mods. Ich habe mich fortan also in beiden Welten bewegt, bin weiterhin oft nach England gefahren und habe an einigen großen Mod-Ralleys teilgenommen, Northern Soul Allnighter in Bradford und Stoke on Trent besucht, zugleich haben mich aber speziell die Hardcore-Bands aus Washington DC extrem begeistert und beeinflusst. Außerdem gab es ja auch in Linz eine äußerst rege Musikszene, die einem klar machte, dass man tun kann, wenn man nur will. Als Initialzündung zum Selbermusikmachen würde ich aber trotzdem die Bands aus Manchester respektive dem gefühlten Nordengland sehen, die Ende der 1980er dann als „Rave“-Szene zusammengefasst wurden. Happy Mondays, The Farm, The Charlatans, Candyflip, Soup Dragons, Inspirals Carpets ... Wegen deren Frisuren und Sounds haben wir letztlich die Band gegründet. Wir mussten uns einfach artikulieren und in die Stadt einbringen.

Die ersten beiden Veröffentlichungen, nämlich die Mini-Alben „Himmelstürmer“ (1994) und „Shy retten die Welt“ (1995) erschienen noch quasi auf dem hauseigenen Label: Wie steht ihr heute zu den Werken?

Distanziert. Ich zumindest Immer schon. Speziell zum ersten Album. Wir waren ja eine halbwegs-miserable Live-Band, hatten als solche aber krachigen Charme, würde ich behaupten wollen. Von der Performance ganz zu schweigen. Auf Platte hatte aber unser erster musikalischer Zirkusdirektor, ein Typ namens Hammersteen, der Gitarre spielte und anfangs alle unsere Songs schrieb, aber immer einen sehr glatten Produzentenansatz. Bloß nichts live im Studio aufnehmen, alles muss sehr sauber klingen. Also auf Clicktrack spielen, ohne Schwankungen. Das hat dann gleich einmal unseren ersten Schlagzeuger aus der Band gespült, den Huckey. Der hatte zwar den Linzer Hardcore als Schlagzeuger bei Target of Demand und Seven Sioux mitgeprägt, heute rappt er ja immer noch bei Texta, konnte aber nicht auf Clicktrack spielen, also auf einen via Kopfhörer vorgegebenen Rhythmus im Studio. Zum einen leiden, wie ich finde, die Aufnahmen unter dieser Sterilität. Und dann war es natürlich so, dass Shy zu jener Zeit schon auch in Richtung The Smiths gedacht waren. Darum ja auch der Name: Shy. Schwach sein, nicht stark. Schüchtern sein, nicht macho. Weil stark und macho waren ja alle anderen. Auch die Hardcore-Abteilung mit ihren durchwegs guten Texten. Trotzdem war deren Attitüde eher: Maskulin! Wir wollten aber nicht auf diese Art maskulin sein. Leider gab die Musik von Shy dann aber keine Reibungsfläche mit den lyrisch gedachten Texten ab. Härter und krachiger hätte im Verbund mit Lyrik bestimmt anders gewirkt, interessanter. Das zweite Album war dann aber in der Hinsicht schon besser. Mit „Shakespeares Taxifahrer“ hatten wir sogar so etwas wie einen kleinen Hit in der Szene.

1997 wurde dann das Debutabum „Pull over“ veröffentlicht: Zwei Jahre zuvor hat euch euer damaliger Gitarrist und alleiniger Hauptsongwriter Hammersteen ja verlassen, und das Songwriting wurde von nun an von anderen Bandmitgliedern wie Peter Lang (Keyboard) übernommen. Gestaltete es sich schwierig  damals Hammersteen musikalisch zu ersetzen und trotzdem den typischen SHY-Sound auch quasi weiter zu bewahren und natürlich auch weiterzuentwickeln?

Nein, das wurde allgemein als Befreiung empfunden. Mit Hammersteen war es in den letzten Monaten vor seiner Emigration nach England, wo er bis heute lebt, immer schwieriger geworden. Menschlich wie musikalisch. Die Chemie zwischen uns anderen war hingegen ausgezeichnet. 1996 wurde quasi von uns im Proberaum jene Band und jener Sound neu entworfen, der uns dann für ein paar Jahre, eigentlich fast ein Jahrzehnt, ausgezeichnet hat. Und die neuen Einflüsse kamen einfach durch unsere Hörgewohnheiten zustande. Indie-Pop, Sixties, Easy Listening ... wobei wir nie in Schubladen dachten, sondern einfach aus allen Genres die besseren Sachen mochten. „Pullover“ bescherte uns dann 1997 auch erstmals überregionale Aufmerksamkeit und viele Auftritte in Österreich und Deutschland.

Auch dieses Album wurde quasi in Eigenregie veröffentlicht: Wie gestaltet sich dabei die Finanzierung, ohne ein Label im Rücken? Gab es auch Sponsoren bzw. Förderungen oder wurde alles aus der eigenen Tasche finanziert?

Umwegrentabilität . Darauf hat diese Band immer sehr geachtet. Was wir live reingespielt haben, das haben wir auch ausgegeben. Wobei man sagen muss, dass wir mit Gerald „Lando“ Landschützer einen unausgesprochenen Produzenten samt Studio an der Hand hatten, der uns durch seinen lockeren Lifestyle, wo es kaum um Geld ging, und sein Multitalent enorm geholfen hat. Der konnte zugleich Songs aufnehmen, jeden falschen Ton heraushören, während er am Computer parellel auch noch Tetris spielte, auf Levels, von denen nicht einmal die Programmierer wussten.

Auf „Pull over“ ist auch der Song „Kein Mann auf dem Mond“ enthalten, bekanntlich einer eurer ersten Hits, der inhaltlich die Mondlandung in Frage stellt. Überhaupt haben deine damaligen Texte wie z.B. „ Die Schwiegersöhne“ oder „Sorgenbrecher“ eher einen ironischen Touch, wie sind diese Texte zu aus heutiger Sicht zu verstehen?

Ich würde heute keinen Text mehr an irgendeiner Konspirationstheorie aufhängen. Das war damals vielleicht charmant, zumal ich den Artikel im WIRED, auf den dieser Text zu „Kein Mann auf dem Mond“ basierte, offenbar sehr gut und inspirierend fand. Aber Konspirationstheorien sind schon länger das Feld von Idioten und politischen Propagandaabteilungen geworden. Da wirkt das Internet quasi auch noch als Brandbeschleuniger. Nie darf etwas sein, wie es ist, immer wird etwas vorenthalten, blicken nur die wirklich Schlauen dahinter. Völliger Schwachsinn, oder? Aber die drei von Dir angesprochenen Texte haben nicht wirklich eine Klammer. Die stehen für sich. „Sorgenbrecher“ war zum Beispiel eher so ein Aufbruchssignal. Die persönliche The-Smiths-Phase ist jetzt vorbei, die Regenwolken sind abgezogen. Jetzt darf es auch ein wenig Hedonismus haben. Eigentlich hätten wir damals auch gleich den Bandnamen ändern sollen.

Bereits 1998 erschien das Nachfolgealbum „comprende?“, das mit einigen stilistischen Änderungen aufwartet und erstmals auch elektronische Elemente beinhaltet. Eigentlich wirklich bemerkenswert,  dass ihr – immerhin eine Band die niemals von der Musik leben konnte – innerhalb so kurzer Zeit zwei Alben auf den Markt gebracht habt. Später verging ja immer viel mehr Zeit zwischen den Alben: Wie erklärst du dir euren Elan von damals?

Wir hatten einen festgelegten Arbetitsrhythmus, jeden Donnerstag ab 19.00 Uhr wurde im Posthof geprobt, zu jener Zeit dann drei Songschreiber in der Band, dank Lando die Möglichkeit der schnellen, kostengünstigen Umsetzung – und offenbar das sehr große Bedürfnis, Musik zu machen. Die Bühne war bereitet. Wir haben in jener Zeit ja auch unheimlich viel live gespielt. Im Flex hat es damals das Soft Egg Cafe gegeben, einen Club, der sonntags von Drehli Robnik betreut wurde. Dort waren wir live Stammgäste – und haben enorm von der Credibility profitiert. Zugleich erschien unsere Coverversion von „Theme From A Summerplace“, dieser instrumentale Easy-Listening-Klassiker, als Vinylsingle auf einem Berliner Indiepoplabel namens „Firestation Tower“. Die Berliner Djs von Le Hammond Inferno nahmen die Single nach Japan zum Auflegen mit, was dazu führte, dass wir bald auch in Japan veröffentlich wurden. Mit u. a. dem kuriosen Output einer 7“ mit der Easy-Listening-Version von „Stahlstadtkinder“, dem großen Song der größten Linzer Band aller Zeiten: "Willi Warma".

Auf diesem Album ist auch die damalige Singleauskoppelung „Ein Schicksal in nur einem Leben ist uns einfach nicht mehr genug“ enthalten: Meinens Wissen war das einer der längsten Singletitel überhaupt: Würdet ihr zustimmen, dass SHY auch deshalb nie ganz groß herauskamen, weil ihr euch auch nie so an Publikum oder an die Musikindustrie anbiedern wolltet?

Doch schon. Nicht anbiedern, aber wir hätten größere Popularität sicher nicht von uns gewiesen. Andererseits haben wir halt immer unser Ding gemacht. Heißt, es war manchmal wichtiger ins Parkbad zu gehen, als sich um die Karriere zu kümmern. „Comprende?“ kam ja dann auch lizenziert etwas später bei einem Kölner Indielabel raus und wir hatten einen Verlagsvertrag mit einem deutschen Majorlabel, die uns z. B. auf Rotation bei Viva brachten und so weiter. Wir haben dann auch mal so einen Showcase-Gig in Köln für Journalisten und andere Multiplikatoren bestritten, aber derartige Späße haben sich bald wieder aufgehört. Man trifft sich – und alle merken: Wir gehören nicht zusammen. Das muss gar nicht mit Gesten oder Erklärungen ausgedrückt werden, das fügt sich ganz von selbst.

Danach erschien im Jahre 2001 das Album „auf reisen!“, dieses Mal sogar auf einem Majorlabel, nämlich EMI. Leider blieb der große Erfolg aus, obwohl das Album musikalisch absolut zu überzeugen wusste. Was waren aus eurer Sicht die Gründe dafür?

Wir hatten damals ein wenig Geld zusammengespielt. Die Gagen waren damals für so Mittelständer wie uns noch besser. Besonders in Österreich. Das haben wir dann genommen, das Ersparte, und in ein ordentliches Studio getragen. Nach Weilheim sind wir gefahren, zu Mario Thaler ins Uphon-Studio, weil uns der Sound von dort angelockt hat. Das war aus mehreren Gründen eine sehr schöne Erfahrung. Erstens weil Mario Thaler keine so Überfigur ist, wie man sich vielleicht erwarten könnte, sondern einer der nettesten Menschen überhaupt. Mit solchen Leuten, die obendrein ihr Handwerk verstehen, arbeitet man natürlich gerne zusammen. Wir hatten dieses Album auch nur für uns gemacht. So hieß das damals: „Wir machen diese Platte nur für uns.“ Ohne in irgendeine Richtung zu schielen. Damals haben wir eigentlich pausenlos Countrysachen gehört. Wir waren ja auch immer große Plattensammler und Klangentdecker und ständig war das Neue interessanter als das Alte, wobei das Neue oft das Alte war, wenn ich das so sagen darf, sprich das uns Unbekannte. Im Kanon jener Zeit haben sich Bands wie Lambchop oder Mercury Rev eingetragen, die wie wir mit Pedal Steel Guitar arbeiteten. Das war nämlich unser Glück: Wir hatten mit Jörg Gaisbauer in Wien einen Pedal-Steel-Gitarristen gefunden. Der Journalist Karl Fluch hatte uns den vermittelt. Was für ein Freude! Warum diese Platte diesen großartigen Klang hat, liegt also einerseits an Mario Thaler und dann auch noch an Jörg. Und plötzlich war da das Interesse von EMI. „Wir machen diese Platte!“ Damals gab es dort Horst Unterholzner, der zur selben Zeit auch Dj Ötzi betreute, und der hatte durch diesen kommerziellen Erfolg auch die Freiheit, so etwas vermutlich Unverkäufliches wie eine österreichische Americana-Platte herauszubringen. Werbung wurde aber keine dafür gemacht. Wir durften erleben, was es bedeutet, wenn ein Major seine Kanäle ein wenig für eine Band wie uns öffnet, das Medieninteresse an uns wwar später nie wieder so groß. Ich denke, es hätte mit derselben Power aber auf alle Fälle ein zweites Album in derselben Konstellation gebraucht, um kommerziellen Erfolg zu haben. Dann war aber schon die so genannte EMI-Krise. EMI hatte Robbie Williams unter Vertrag genommen und sich finanziell damit überhoben. Überall in Europa wurden Budgets zusammengestrichen und Bands vor der Tür gesetzt. Horst Unterholzner war dann schnell bei einer anderen Firma. Wir hatten in der Folge mit Leuten zu tun, die nicht mal wussten, dass wir auf deren Label waren. Wir wurden nicht einmal gedropt, sondern einfach nur vergessen.

Drei Jahre später erschien „35 Sommer“, ein paar Monate zuvor performten SHY im randvollen Linzer Musiktheater gemeinsam mit einem Orchester. Welche Erinnerungen verbindet ihr mit dieser Zeit bzw. speziell mit diesem Auftritt?

„35 Sommer“ war schwierig zu bewerkstelligen. Klar, nach dem Major-Absturz. Ich meine, für uns gab es vorher diese Kriterien ja nie: Erfolg, berühmt werden. So haben wir ja gar nicht gedacht. Mir wurde das erst bewusst, als wir anlässlich der „Auf Reisen“-Tour in Ebensee spielten. Einer der Wallinger-Brüder, ich glaube, es war Klaus Wallinger, sagte bei unserer Ankunft am Nachmittag zu mir: „Wenn Ihr jetzt nicht berühmt werdet, dann gar nicht mehr.“ Der Satz hat mich damals völlig überrascht. Weil niemand in der Band so drauf war, niemand hatte das Engagement bei dem Major als Chance oder Veränderung oder Auftrag oder sonstwas gesehen. Für uns hat das nur mehr Konzerte bedeutet – und eine höhere Aufmerksamkeit, dass kein Bullshit mit uns passiert. Rückblickend weiß ich natürlich, Klaus hatte das völlig richtig erkannt und der Moment des Berühmtwerdens ging an uns vorüber, ohne sich nach uns umzudrehen. Was uns aber nicht daran gehindert hat, das von Dir erwähnte Konzert im Linzer Landestheater zu spielen. Wir waren die erste Band, die das machte. Es war ein absolutes Experiment. Für die Leute vom Theater und auch für uns. Wir hatten ja oft mit Bläsern und Streichern aufgenommen, insofern waren wir vom Studio her bereits mit Orchesterarrangements vertraut. Live war das noch einmal eine andere Nummer. Da hatten wir immer nur mit Bläsern gespielt, seit „Auf Reisen“ mit Gerd und Manfred, Trompete und Posaune, was uns einen unheimlichen Druck und eine große Virtuosität verlieh. Während es musikalisch also ziemlich klar war, was passieren würde, stellten uns die Rahmenbedingungen vor ganz andere Herausforderungen. Wir ließen auf eigenes Geld eine extra Anlage leihen. Da wir auch die zusätzlichen Musiker zahlen mussten, Streicher und Bläser, kamen bald so hohe Kosten zusammen, dass wir unbedingt ein volles Haus benötigten, um das alles bezahlen zu können. Das Konzert war Ende Jänner. In der ersten Jännerwoche ging ich einmal beim Landestheater vorbei, um mich nach dem Vorverkauf zu erkundigen. Die Kassiererin lächelte mitleidig, weil ganze 15 Karten verkauft waren. Ich kaufte selbst gleich zwei, um sie meinen Eltern zu schenken und auf 17 zu erhöhen. Für den Abend kalkulierte ich innerlich bereits den finanziellen und stimmungsmäßigen Supergau ein. Dann bekamen wir aber einen großen Artikel in den „Oberösterreichischen Nachrichten“, Reinhold Gruber oder Bernhard Lichtenberger, einer dieser zwei journalistischen Engel, rührte dort die Werbetrommel für das Konzert – und plötzlich zog der Vorverkauf etwas an, baute sich doch in der Stadt eine gewisse Vorfreude auf. Aber alles immer noch im überschaubaren Rahmen. Am Tag des Konzerts waren wir deshalb natürlich unglaublich nervös. Dann aber war Soundcheck und man musste sich mit anderen Dingen als mit der Auslastung beschäftigen. Wir sind nach dem Soundcheck in den Katakomben des Theaters geblieben. Was draußen vor sich ging, bekamen wir nicht mit. Wir fürchteten uns wohl davor, uns mit der traurigen Realität eines kaum nennenswerten Andrangs auseinandersetzen zu müssen. Sieben besetzte Reihen oder so ... Im Theater gibt es ja den berühmten Eisernen Vorhang, der Bühne und Zuschauerraum trennt. Wir wussten also die längste Zeit nicht, wie viele Leute hereinströmten. Die Techniker hinter der Bühne hatten aber einen kleinen Monitor. Dort bin ich kurz nach Einlassbeginn einmal neugierig vorbeigeschlichen. Man sah den gesamten Saal. Vereinzelt saßen ein paar Leute. Ein deprimierendes Bild. Zehn Minuten vor Konzertbeginn wollte ich es dann doch noch einmal wissen, bin wieder aus den Katakomben hoch und vor den Monitor. Und was soll ich sagen? Es war so unerwartet wie fantastisch: Am Monitor nur noch Köpfe, Köpfe, Köpfe. Alle Reihen voll, 525 zahlende Besucherinnen und Besucher, wie wir nachher erfuhren. Ein Wahnsinn. Dann ging der Eiserne Vorhang auf, ein irrsinniger Applaus ging auf uns nieder, so ein fast fußballplatzartiger „Roar“, weil sich alle Leute so freuten, heute hier zu sein und ausgerechnet uns im Landestheater zu sehen und zu hören. Und auch für uns war es natürlich in der Folge eine einzige Freude. Ein enthusiastischer Abend.

Wieder zwei Jahre später, SHY, feierten ihr 15-jähriges Bestandsjubiläum, und das Album „Zurück am Start“, so eine Art Konzeptalbum, das eindeutige zu den besten Releases von SHY zählt, wo es im Prinzip um eine Beziehungskrise bzw. das schmerzvolle Ende einer Beziehung geht. Irgendwie war das ein Novum in der Geschichte von SHY, die Stücke mit solch persönlichen Texten zu unterlegen, den früher waren die Lyrics eher mit Metaphern gespickt und dementsprechend mehrdeutiger. Wie siehst du das heute?

Das ist aus dem Moment heraus passiert. Also, die Texte wurden binnen weniger Tage im Anschluss an eine schmerzlich empfundene Trennung von mir geschrieben. Das war wohl das, was man eine Katharis nennt, eine seelische Reinigung. Das hat sehr viel Kraft und Mitteilungsbedürfnis ausgelöst, einen kreativen Schub, wenn man so will. Darum ist das Album sehr schnell passiert. Weil es raus musste und auch genau in der Radikalität und Form, sonst wäre es nichts wert gewesen, in dem Augenblick. Und natürlich ging es nur um den Augenblick. Wenn dich so etwas reitet, dann denkst du nicht an die Langzeitwirkung. Dass du selbst wieder nüchtern werden wirst und quasi dein Leben mit diesem Ding da konfrontiert sein wirst. Der Rest der Band hat das natürlich begriffen, mich bei den ärgsten Peinlichkeiten eingebremst und die Songs in eine gute Richtung gelenkt. Aufgenommen haben wir wieder bei Mario Thaler in Weilheim. Es hat rundum alles gepasst. Ich hatte zuvor auch noch nie so gut gesungen. Das war ein so ein Feedback auf die Platte: Du kannst ja vielleicht doch singen. Und ich mag die Platte nach wie sehr. Gutes Album, definitiv.

Danach folgte eine lange Schaffenspause ehe im Jahr 2013 das Album „Zwei“ erschien: Was war der Grund für diese lange Pause? Wie stehst du heute zu dem Album etwa zwei Jahre nach den Aufnahmen bzw. wie fielen die Reaktionen darauf aus?

Das Album hätte auch schon 2011 erscheinen können, da waren die Aufnahmen schon fast fertig. Aber in dem Jahr lebte ich in Deutschland, in Essen, was ja nicht gerade um die Ecke ist, weshalb der Band die Routinen abhanden gekommen sind. Alles zog sich endlos. Zuvor hatten wir sehr lange daran herumgebastelt, wie wir gerne klingen und tun möchten. Wir hatten ja ab 1996 eine gewisse Art zu arbeiten entwickelt, eine Formel nach der Shy handelten, die wir und wohl auch das Publikum mit der Zeit langweilig fanden. Also sind wir mit teils neuen Kräften in der Band konsequent anders vorgegangen, haben zum Beispiel wirklich im Proberaum monatelang nur so vor uns hin gespielt, das klassische Songwriting als Methode gestrichen. Darum ist „Zwei“ vielleicht schwierig einzuordnen. Aber natürlich immer noch sehr gefällig. Die Reaktionen waren jedenfalls dann absolut positiv. Wenngleich in kleinerem Rahmen als wie wir sie aus unserer doch großen Historie kannten. Obwohl die Präsentation im Posthof überraschend viele Leute zog. Ich habe auch keine schlechte Kritik zu dieser Platte gelesen. Es haben sogar viele Leute, die Shy früher nicht mochten, weil zu sehr Pop, Pop, Pop, zu Protokoll gegeben, das wäre jetzt aber bitte etwas ganz anderes.

Im Herbst 2014, also nur 1 Jahr, nach dem Erscheinen von „Zwei“ ging die Bandgeschichte von SHY abrupt zu Ende: Was bleibt von SHY bzw. gibt es vielleicht einzelne Songs oder gar Alben, auf die ihr besonders stolz seid?  Gibt es auch bereits neue Projekte der ehemaligen Bandmembers?

Das ging eigentlich auf unseren Schlagzeuger Hansi zurück. Der im Herbst 2014, auch wenn man es ihm nicht ansieht und anmerkt, 50 wurde. Da hat er dann gesagt: So, das reicht jetzt. Wie lange soll denn das noch gehen? Was soll noch passieren, das noch nicht passiert ist? Das mussten wir natürlich akzeptieren. Unsere Band hat ja sehr viele Besetzungswechsel verkraftet, aber der wäre zu sehr an die Substanz gegangen. Wir waren ja immer auch eine Band von Freunden, das muss man so sagen. Gröbere Streitigkeiten kamen eigentlich nie vor, wenngleich das gemeinsame Musizieren und vor allem Arrangieren von Stücken natürlich zeitweilige Konflikte provozierte. Aber die berührten nie das Persönliche, nur das Sachliche. Ohne Hansi war für mich Shy undenkbar. Und das ist auch Peter so gegangen. Stefan, Armin und Phil hätten gerne weitergemacht, zumal sie – und ich auch – davon überzeugt waren, nach „Zwei“ ein noch konsequenteres Album in derselben Machart aufnehmen zu können. Aber dazu wird es nun nicht mehr kommen. Hansi und Peter haben jetzt als Musikanten beim Florian-Horwath-Ensemble angeheuert, Phil spielt bei gefühlt tausenden Bands Bass, außerdem singt er bei Porn to Hula und betreibt weiterhin das Kapu-Studio, Armin ist Tontechniker im Theater Phoenix und sauguter Gitarrist von The Royal Driveaffair, und Stefan macht weiter solo elektronische Musik als Mes. Ich mache musikalisch nichts.

Abschließende Frage: Du bist ja hauptberuflich Journalist und Werbetexter und hast u.a. das Buch „Es muss was geben“ (2007) veröffentlich, das sich mit der Linzer Musikszene beschäftigt:  Woher kommt dieses Faible für das Schreiben im Allgemeinen bzw. auch für diese bildhafte Sprache speziell  in deinen Songtexten? Hast du dir das über die Jahre einfach angeeignet oder bist du so etwas wie ein Naturtalent was das Texten angeht?

Ich habe schon als Kind gerne geschrieben. Schulaufsätze und so. Das war auch später immer mein Ausdrucksmittel. In der Mod-Szene bin ich mit einer Vielzahl Fanzines auffällig geworden, später habe ich für die „Oberösterreichischen Nachrichten“ Konzertkritiken geschrieben, den Anfang von SKUG, ein Musikmagazin, begleitet. Das mit der von Dir festgestellten bildhaften Sprache kann ich nicht beurteilen. Klar, als mittlerweiler Werbetexter schreibe ich bildhaft, das sicher. Ob das aber auch für meine Songtexte gilt? Ich weiß nicht. Eigentlich habe ich ja eine HTL besucht. Sechs verfluchte Jahre lang. Für Tiefbau. Da hat es immer geheißen: Die Sprache des Technikers ist die Zeichnung. Meine Sprache war das nie. Dementsprechend sahen meine Zeichungen aus. Beim Songtexten gab es hingegen nie ein Problem. Du musst nur den richtigen Augenblick abwarten. Dann schreibt sich die Geschichte von selbst.

Thomas Hutterer