Mit rasendem Herz durch die Nacht

In "Panikherz" führt Benjamin von Stuckrad-Barre mittels Udo Lindenberg Zitaten durch sein Leben. Ein wilder Ritt durch die 90iger und 2000er, bei dem bekannte Gesichter, sowie die schönen und unschönen Seiten des Showgeschäfts aufeinander treffen.

Wer in den 70igern oder 80igern in Deutschland oder Österreich geboren wurde, kam an Udo Lindenberg nicht vorbei. So auch ich. „Sonderzug nach Pankow“ im elterlichen Wohnzimmer gehört zu den unvergesslichen Kindheitserinnerungen. Doch es gibt mindestens eine Person, deren Kindheit – und vor allem das weitere Leben noch viel, viel enger mit dem deutschen Kultsänger verwoben ist: Benjamin von Stuckrad-Barre. In seiner Biografie "Panikherz“ gewährt der Autor tiefe Einblicke in sein Leben. Die Kindheit als Pastorensohn, die ersten Berührungspunkte mit den Platten Udos und schon bald der Wunsch, selbst zu diesem Kunst- und Showzirkus dazugehören zu wollen.

Dieser Wunsch, das ist klar, sonst hätten wohl die wenigsten dieses Buch vor ihnen liegen, ging in Erfüllung. Die Reise führt vom Wildplakatieren in Göttingen über Musikjournalismus (oh, diese wunderbaren “Access all areas Pässe”!) in Hamburg zur Plattenfirma nach Berlin und schließlich in die Gagschreiberwerkstatt von Harald Schmitt. Mit der nötigen Portion Frechheit und schreiberischem Talent gelingt schließlich mit 23 Jahren der Durchbruch mit "Soloalbum”. Der Rest ist Geschichte. Und diese ist mit einer Achterbahnfahrt, die einige Jahre hauptsächlich ins Bodenlose zu gehen schien, verbunden. Kurz zusammengefasst: Drogen, Drogen, Entzug, Wahnsinn, Bulimie, Klinik, noch mehr Drogen.

Das wunderbare an "Panikherz" ist, dass es sich hierbei um keine öde Biografie, keine Selbstbeweihräucherung, aber auch keine Bitte um Absolution handelt. Wer Schmutzwäsche sucht, ist definitiv an der falschen Stelle. Weder finden sich hier Frauengeschichten, noch werden andere Prominente beflegelt. Diejenigen, die Erwähnung finden, werden äußerst sanft und meist sympathisch beschrieben. Wer immer schon mal wissen wollte, wie es ist mit Bret Easton Ellis Abendessen zu gehen oder Thomas Gottschalk zu Hause zu besuchen, wird schmunzeln. 

Diese Details sind schön und gut, aber nicht der Hauptgrund diesen, beinahe 600 Seiten starken, Roman zu lesen. Es ist ein Zeugnis der deutschen Popkultur der letzten 20 Jahre, eine berührende Hommage an Udo Lindenberg und ein, in aller Ernsthaftigkeit, amüsantes und kurzweiliges Buch. Um es im Amazon-Jargon zu sagen: wer auf Jörg Fauser und Christian Kracht steht, wird auch "Panikherz" lieben. 

Panikherz
von Benjamin von Stuckrad-Barre
erschienen bei Kiepenheuer&Witsch
gebundene Ausgabe, 576 Seiten, 23,70€ (A)
Preis Österreich: 23,70 €
ISBN: 978-3-462-31575-2
 

Nina Wöss

'Sie gehörte zu den Mädchen, die niemals etwas nur mögen oder gut finden, sondern schwärmen.'

K. Hagena, "Der Geschmack von Apfelkernen"