Das vierte Popfest steht vor der Tür. Anlass genug Neo-Kurator Patrick Pulsinger zum Interview über die österreichische Indie-Szene, Frauen in der Musik und den ORF zu bitten.
Wir treffen Patrick Pulsinger, eines der Aushängeschilder der österreichischen Elektronikszene und, nach dem Abschied Robert Rotifers, diesjähriger Kurator des Popfests am Wiener Karlsplatz, in seinem Studio im fünften Wiener Gemeindebezirk. Der Produzent und Musiker, der im Vorfeld bereits ankündigte, dieses Amt nur für ein Jahr ausüben zu wollen, kredenzt italienischen Espresso und plaudert über die Veränderungen in der österreichischen Musikszene und dem Wunsch nach einer weiblichen Nachfolgerin.
FM5: Welche persönliche Note hast du in das Popfest eingebracht?
Patrick Pulsinger: Ich war anfangs etwas unschlüssig, ob ich den Job als Popfest Kurator überhaupt annehmen sollte. Was mir dann, als ich den Job annahm, am wichtigsten war, war, dass so viele frische Bands wie möglich auftreten sollten und ich so wenig wie möglich aus den letzten drei Jahren wiederholen möchte. Ich war auf der Suche nach unbekannten Acts, aber auch etablierten Bands für die große Bühne, um auch ein paar Leute anzulocken, die happy sind, dass ihre Lieblingsband auch mal gratis spielt. Aber es gab keinen roten Faden auf dem die Auswahl der Bands beruht - ich dachte mir, ich werde mir jetzt mal ein halbes Jahr Bands ansehen, bin auf viele Konzerte gegangen, hab' im Internet recherchiert und Tipps von Freunden bekommen.
Mit ihrem umjubelten Auftritt beim ersten Popfest hat für Gin Ga ein Höhenflug begonnen, der bis heute andauert. Welcher Band aus dem diesjährigen Line-Up traust du es zu ähnlich durchzustarten?
Generell ist es so, dass ich glaube, dass in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit für österreichische Bands allgemein gestiegen ist. Sehr viele Bands sind auf internationalen Festivals unterwegs, die hier noch gar keine so große Fangemeinde haben, aber im Ausland teilweise bekannter sind als in Österreich selbst. Ich glaube, dass jede Band diese Chance nutzen kann.
Mein persönlicher Tipp, obwohl das bei 50 Bands ja fast etwas unfair ist eine Hand voll herauszugreifen, sind Fijuka - da glaube ich, dass die international richtig Gas geben könnten, weil alles irrsinnig schön gemacht ist und die Sängerin eine unglaubliche Stimme hat, die teilweise an Kate Bush erinnert. Dann gibt es noch einen jungen Künstler namens Punda Omar - der singt und macht dazu düstere, atmosphärische Elektronik. Er war auch eine Entdeckung für mich. Und dann gibt es noch Bands, die schon länger bei FM4 auf dem Radar sind und auf die man ebenfalls gespannt sein kann, beispielsweise Catastrophe & Cure und die Steaming Satellites. Ich denke die Mischung ist ganz gut gelungen.
Uns ist aufgefallen, dass das Line-Up dieses Jahr einen elektronischeren Touch hat als in den vergangenen Jahren. Absicht oder Zufall?
Zufall! Ich denke das ist genau das Schöne bei einem Kuratorenwechsel - und das ist auch das Gute, wenn nächstes Jahr wieder gewechselt wird, vielleicht wird es ja einmal eine Frau. Es gibt ohnehin zu viele männliche Kuratoren in der Kulturwelt. Wenn es nächstes Jahr eine Kuratorin gäbe, wäre das sicherlich ein anderer Blick auf die Musikszene und könnte neue Impulse geben.
Generell fällt auf, dass Frauenbands, beziehungsweise weibliche Bandmitglieder eher die Ausnahme sind. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Das zieht sich leider durch die ganze Szene durch. Es gibt schon immer wieder Ausnahmen - Fijuka, Bis eine heult - und oft ist es auch so, dass eine Frau mit ein paar Jungs unterwegs ist. Ich find's super, dass die letzten zehn bis 15 Jahre extrem viel passiert ist. Ich glaube das Wichtigste war der Laptop - der hat vielen Frauen ermöglicht einfach mal zu arbeiten, ohne sich auf professionelle Hilfe oder ähnliches einlassen zu müssen. Ich denke, dass es sich schon verbessert hat, aber eine 50:50 Verteilung gibt es leider weder in der Musikszene noch anderswo. Ich finde das schade.
Um kurz kulturpolitisch zu werden: Es fängt schon damit an, dass es unverständlich ist, warum Frauen weniger verdienen. Da geht's um Anerkennung und Respekt und wenn diese Dinge nicht gegeben sind, ist es auch klar, dass auch alles andere immer nachhängen wird. Auf der anderen Seite bin ich streng dagegen, bei der Erstellung des Programms noch extra Frauen zu suchen, nur weil man eine 50:50 Quote erreichen will. Das ist der völlig falsche Ansatz. Es gibt genug Frauen, die tolle Sachen machen, die muss man einbinden. Ich habe das so gemacht, dass ich geschaut habe, wer schon gespielt hat und hab versucht das Verhältnis auszugleichen. Aber ich bin jetzt nicht hergegangen und habe gesagt: "So, wir brauchen jetzt noch zehn Frauen!" Ich denke das jetzige Programm spiegelt die Aufteilung, die in der Realität vorliegt, wider. Das ist schade, aber das ist im Moment so. Gleichzeitig glaube ich, dass es kontinuierlich besser wird. Ich spreche auch mit vielen Musikerinnen, die einfach kommen und sagen, sie produzieren ihre eigenen Platten - das gab es zu der Zeit, als ich anfing Musik zu machen, überhaupt nicht.
Obwohl das Line-Up der Seebühne für den "Massengeschmack" gestaltet wurde, fällt auf, dass keine der Bands auf Ö3 gespielt wird. Wie wurde das gehandhabt?
Also ich verstehe das Festival als Popfestival abseits des Mainstreams. Ich denke, dass Bands, die auf Ö3 gespielt werden, genug Präsenz haben. Zweitens gibt es das Stadtfest und das Donauinselfest, bei denen diese Bands ohnehin gerne gebucht werden. Klarerweise ist das Popfest durch Robert Rotifer, durch mich und auch durch die Bands, die dort spielen, etwas FM4-affiner. Ich denke, dass Robert Rotifer das Popfest sehr gut positioniert hat. Das Konzept funktioniert und ist cool und daran wollte ich auch nicht rütteln.
Das Popfest findet nun zum vierten Mal statt. Welche Veränderungen hast du in dieser Zeit in der österreichischen Musikszene beobachtet?
Es ist natürlich immer schwer zu analysieren, was genau vom Popfest ausgelöst wurde. Ich denke das Popfest ist ein wichtiger Stein in dem Prozess, der derzeit in Österreich aus Eigeninitiative der Bands und vor allem der kleinen Labels, passiert. Wenn man die Indie-Labels, bei denen die wirklich interessanten österreichischen Acts zu Hause sind, ansieht, merkt man: die geben wirklich Gas und arbeiten daran, dass österreichische Musik mehr im Ausland gehört wird. Die klassischen Major-Labels, die hier in Österreich tätig waren, wie man ja mittlerweile fast sagen muss, waren nie Orte der Innovation und sind es heute noch weniger. Das Popfest ist zur richtigen Zeit gekommen und ist ein kleiner Teil davon - eine Chance diese Bands einem breiteren Publikum vorzustellen. Ich würde jetzt nicht soweit gehen und sagen, seit es das Popfest gibt ist die Indie-Szene explodiert. Das es ein cooles, österreichisches Festival, noch dazu mit gratis Eintritt gibt, war ohnehin schon lange überfällig. Ich hoffe, dass der politische Wille da ist, es auch weiterhin mit Budget auszustatten und eventuell auch mal etwas mehr zu geben, denn das Budget ist wirklich, wirklich klein für vier Tage und fünfzig Bands. Es fehlt trotzdem an allen Ecken und Enden. Jede Band bekommt eine adäquate Gage - für manche Bands vielleicht nicht so großartig, für andere durchaus ok. Hier haben wir auch darauf geachtet die Waage zu halten und die Schere zwischen kleinsten und größten Gagen nicht zu groß werden zu lassen. Ich will nicht, dass die einen 3.000 Euro bekommen und die anderen 150.
Die Themen Geld und Musikförderungen sind derzeit aufgrund der Streichung der ORF-Gelder für den Musikfonds in aller Munde. Wie stehst du dazu?
Erstens kann es hier nicht um Sparmaßnahmen gehen - die 100.000 Euro sind sehr, sehr viel Geld für den Musikfonds und gleichzeitig ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn man das ORF Budget betrachtet. Wenn man sich daraus zurückzieht ist es also eher ein kulturpolitisches Statement als ein finanzielles. Das ist es, das mich am meisten daran stört. Wenn wir zu der Frage, warum es mit der österreichischen Musik in den letzten Jahren bergauf geht, zurückkommen - der Musikfonds ist sicherlich ein Teil davon. Er trägt zur Professionalisierung der Bands bei, die extrem wichtig ist, um weiterzukommen. Die Bands müssen sich darüber Gedanken machen wie sie das Geld adäquat verwenden. Die wenigsten können sich einfach irgendwo hinsetzen, spielen und dann kommt das Geld rein. Wenn sie später einen Plattenvertrag bekommen, werden sie auch nicht so schnell über den Tisch gezogen, weil sie wissen, was Studio, Promo, etc. kosten. Man darf auch nicht vergessen, dass der Musikfonds keine Künstler-, sondern eine Wirtschaftsförderung ist. Das bedeutet, dass versucht wird den Musikstandort Österreich zu fördern und zu professionalisieren und ich finde, dass das ein zartes Pflänzchen ist, das in den letzten Jahren gediehen ist und auf dem nun herumgetrampelt wird. Das ist ein völlig falsches Signal. Auf der anderen Seite verteilt der ORF die Kohle an Sendungen, die überhaupt nicht nachhaltig sind. Was Sendungen wie "Die große Chance", bei der noch dazu ein Hund gewinnt, der österreichischen Musiklandschaft bringen sollen, ist mir ein Rätsel.
Danke für das Interview!