Sven Regener im Gespräch über sein aktuelles Buch „Wiener Straße“, die Bedeutung von Humor und welche Rolle Dialekt in der kollektiven Identität einnimmt.
In Deinem aktuellen Werk „Wiener Straße“ begegnen wir altbekannten Figuren wie Frank Lehmann und Karl Schmidt wieder – auch wenn sie diesmal nicht im Mittelpunkt der Erzählung stehen. Achtest Du bei wiederkehrenden Charakteren aus vorangegangenen Büchern darauf, dass diese sich in ihren Wesenszügen ähneln? Quasi für all jene Leser, die Frank Lehmann und Karl Schmidt noch nicht kennen?
Sven Regener: Ich möchte, dass jedes Buch ein Buch in seinen eigenen Recht ist. Man muss nicht das vorherige gelesen haben, um zu verstehen worum es geht. Ich sehe es auch nicht als Erweiterung der „Herr Lehman“-Trilogie, weil es eigentlich ein Buch ist, das aus der Perspektive anderer Leute erzählt wird und eine andere Art von Geschichte darstellt.
Außerdem habe ich das nie gemacht, dass ich als auktorialer Erzähler so eingreife und die Leute beschreibe. Wenn, dann überhaupt nur mit den Augen der anderen. Man lässt die Leute einfach handeln, wie sie handeln. Dann erklären sie sich irgendwann von selbst. Das ist auch Teil der Spannung, dass man am Anfang eines Buches nicht gleich alles weiß und erfährt. Sondern sich erst nach und nach ein Bild ergibt. Man sollte auch nicht versuchen brav irgendwelche Punkte abzuarbeiten, nur damit gleich mal alles klar ist. Weil wenn alles schon klar ist, reißt auch der Aufmerksamkeitsfaden – ganz zu Recht, wie ich finde.
In „Wiener Straße“ setzt Du die Handlung von „Der kleine Bruder“ fort, aber nicht einem Hauptcharakter, sondern mit mehreren. Zum Beispiel kommen da die Wiener Aktionskünstler ArschArt vor. Was hat Dich an ihnen so fasziniert, dass es Wiener Künstler geworden sind? Es hätten ja auch beispielsweise Vertreter der Neuen Wilden werden können.
Nein, die Neuen Wilden waren nicht so drauf, die waren bereits etabliert und ab Ende der 70er Jahre auf internationalen Kunstausstellungen unterwegs. Es gab natürlich auch ein paar Vorbilder für die ArschArt Künstler wie die Endart Galerie aus Berlin. Das waren wilde Vögel aus der Oranienstraße. Aber es war mir lieber, dass es Wiener sind, weil wir den Blick von Leuten auf die Stadt West Berlin bekommen, die wirklich keine Deutschen sind.
Wir haben hier zum Beispiel Kacki, der gar nicht dahin wollte, der aus Liebe zu seinem Freund P.Immel mitgegangen ist. Und nun sieht man das Ganze aus den Augen eines heimwehkranken Ottakringers. Ziemlich komisch ein heimwehkranker Ottakringer, der versucht eine Malakofftorte zu backen.
Der Blick der Österreicher auf die Deutschen fand ich immer schon faszinierend. Aber das Beste daran ist, dass die Deutschen gar nicht merken, was die Österreicher wirklich über sie denken. Das ist schon sehr stark und für einen Roman wahnsinnig dankbar. Man muss nur aufpassen, dass man nicht zu sehr auf die Folklore- und Klischeetube drückt.
Ich würde behaupten, dass Humor ähnlich wie Dialekt ein kulturelles Merkmal ist. Mit dem Unterschied, dass man als Fremder eine Sprache im Dialekt erlernen kann, den regionalen Humor jedoch kaum. Kannst Du dem etwas abgewinnen?
Die Frage ist eher, ob man Humor überhaupt erlernen kann oder nicht. Entweder man hat ihn, oder man hat ihn nicht.
Was ist zum Beispiel mit dem britischen Humor oder dem Wiener Schmäh?
Der Wiener Schmäh ist nicht so viel anders als der britische Humor, es klingt nur anders. Gerade mit diesen Dialekt-Sachen möchte man sich eine kollektive Identität schaffen und darüber eine Legitimation für Humor. Humor ist ein Distanzmittel, unter Umständen auch zu sich selbst, indem man über sich selbst lacht. Und es ist auch immer eine Verachtung – Humor ist nichts Zahnloses. Es ist eine kalte Technik, man lacht über jemanden. Im günstigsten Fall identifiziert man sich zugleich mit dieser Person, sodass man auch über sich selbst lacht. Das macht es am wenigsten hart. Aber grundsätzlich lacht man über andere.
Freud sagt, Humor ist Lustgewinn durch ersparten Gefühlsaufwand. Das eint dann den britischen Humor, den Wiener Schmäh, aber auch den Berliner Humor. Letztendlich glaube ich, dass es da keine kollektiven Identitäten gibt. Es gibt einfach Leute, die haben Humor und es gibt welche, die haben keinen. Ich glaube nicht, dass Menschen, die keinen Humor haben, schlechtere Menschen sind. Aber sie sind anstrengend. Weil sie nie eine Distanz zu sich selbst oder zu den Dingen finden. Und so ist es mit dem Mangel an Humor: Das macht das Leben sehr schwer glaube ich. Weil man sich diese Erleichterung nicht verschaffen kann durch Lustgewinn, durch den ersparten Gefühlsaufwand.
Besitzen die Wiener Aktionskünstler ArschArt auch einen gewissen Wiener Schmäh, zum Beispiel durch die Art und Weise, also den Dialekt, wie sie untereinander sprechen?
Nein, ich schreibe bei ihnen keinen Dialekt auf. Nur dort, wo sie eine Show auflegen, eine spontane Aktion oben auf dem Dach. Aber untereinander reden sie normal, nur manchmal sagt einer „Bist du deppert“, oder „halt die Papp’n“. Aber das war’s auch schon. So einen Dialekt aufzuschreiben ist sehr anstrengend, das mache ich nur manchmal bei den Berlinern. Ich habe die ArschArt Leute extra zu Wiener Aktionskünstlern gemacht, die sich versuchen zu tarnen – das österreichische U-Boot in Kreuzberg, was aber am Ende jeder weiß. Sprachlich hätte ich das nicht gemacht, weil das wäre mir zu folkloristisch vorgekommen. Ich versuche auch bei Lesungen erst gar nicht so zu tun, als ob sie so Wienerisch sprechen.
Du bist gerade auf großer Lesereise durch Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verhält sich die Auswahl der Lesestücke ähnlich wie eine Setlist, wenn man mit der Band unterwegs ist? Sprich – passt Du Deine Auszüge bei Deiner Lesung dem jeweiligen Land oder Stadt an?
Nein, darüber stelle ich keine Spekulationen an, was die Leute vielleicht hören wollen. Das finde ich nicht zulässig, denn ich kenne sie ja nicht. Ich achte eher darauf den Leuten, die das Buch nicht gelesen haben, den besten Zugang zur Geschichte zu verschaffen. Ich versuche möglichst große Zusammenhänge zu nehmen, damit die Leute der Sache auch folgen können. Dieses Buch hat nur fünf Kapitel, wie fünf Akte in einem Theaterstück. Und diese fünf Kapitel zerfallen in einzelne Szenen und daher muss man schon eine Zeit lang dranbleiben, damit sich die einzelnen Szenen zu etwas Größerem wieder zusammensetzen.
Ich hatte mir gedacht, die Wiener könnten besonders auf die österreichischen Charaktere in Deinem neuen Buch neugierig sein…
Da kommt eine Menge in meinen Lesungen vor! Und ich freue mich drauf, wenn ich das in Wien lese. Weil ich bin gespannt, was dann kommt. Aber letztendlich sollte man auch darauf keine Rücksicht nehmen, weil Kunst sollte etwas Universelles haben. Ich glaube nicht daran, dass man den Leuten irgendwo irgendwas ersparen muss von dem, was man geschrieben hat. Dann hätte ich das Buch gar nicht schreiben müssen. So wie es überall die gleiche Version des Buches zu kaufen gibt, so kann es auch die gleiche Version der Lesungen geben.
Also verhält sich eine Lesereise anders als mit der Band auf Tournee zu gehen, wo man die Setlist je nach Auftrittsort zusammenstellt.
Nein, auch mit der Band machen wir das nicht. Wir spielen in der Regel auf der Tournee fast immer die gleiche Setlist. Wenn man etwas ändert, dann eher deswegen, dass man sich sagt „Ach, auf das Stück habe ich jetzt nicht so Lust“. Das hat nichts damit zu tun, dass wir nach Nürnberg kommen und andere Lieder als in München brauchen. Ich wüsste nicht, warum wir das denken sollten.
Sven Regener liest aus seinem neuesten Werk im Rabenhoftheater!
Termine: 17., 18. und 19. November 2017
Beginn: 20 Uhr
Preis: 22€
Sven Regener – „Wiener Straße“
Galiani Verlag, Berlin
VÖ: 07.09.17