"Wir müssen uns so oder so beweisen!"

Mit der Schauspielerei ging es für Jamie Campbell Bower schnell durch die Decke. Trotzdem spielte der Tausendsassa schon sein halbes Leben in Bands. Zusammen mit drei Freunden und seinem Bruder hat er "Counterfeit" ins Leben gerufen. Wir haben die sympathische Punkband aus England vor ihrem Wien-Konzert zum Interview getroffen.

Fast vollzählig

Mittwoch, 08.06.2016 kurz vor 20 Uhr: Wir stehen wie ausgemacht vor dem Gebäude, in dem auch das Arena-Büro untergebracht ist und warten auf unser Interview mit der englischen Band Counterfeit. Ein Geheimtipp, der bald keiner mehr ist, wie manche englischen Medien prophezeien. Die Temperaturen sind für Anfang Juni schon ziemlich warm und von aufkommendem Regen gibt es keine Spur. Das exotische Gewächs vor dem Gebäude hätte zumindest ein bisschen davon vertragen. Durch die offene Eingangstür hört man von drinnen, wie Türen auf und wieder zugemacht werden und der Tourmanager leise und leicht verunsichert "Jimmy?" ruft. Eine Minute vergeht. Nichts. "Jimmy? Wo bist du?" tönt es dieses Mal schon lauter zu uns hinaus. "Weiß jemand, wo Jimmy ist?" fragt er einen Teil der Band, die gleich im Backstageraum neben der Tür sitzt. Allgemeine Verneinung und die Vermutung, dass der Drummer auf dem Gelände herumliefe, tun sich auf. Gerade als Tourmanager Craig sich auf die Suche machen und das Gebäude verlassen will, stößt er mit Gitarrist Tristan Marmont zusammen. "Tristan! Tristan, hast du dein Handy bei dir? Ruf Jimmy an. Er soll zum Interview kommen." Manchmal ist es kein Honiglecken, Tourmanager zu sein. Vergleiche mit einem Schafhirten und Kindergarten-Betreuern tun sich in unseren Köpfen auf. Nachdem Craig kurzerhand beschließt, ohne den besagten jungen Mann anzufangen, werden wir nach einer ausgiebigen Entschuldigung und der Erklärung, dass er gerade noch auf der Suche nach Jimmy Craig wäre, in den bereits erwähnten Backstageraum gebeten. Auf halbem Weg kommt uns Sänger und Gitarrist Jamie Campbell Bower entgegen, der Vielen auch als Model, Musical-Darsteller ("Bend It Like Beckham"), Schauspieler (u.a. "Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street", "The Twilight Saga", "Harry Potter and the Deathly Hallows – Part 1", "The Mortal Instruments: City of Bones", etc.) bekannt sein dürfte. Er begrüßt uns freudig, stellt sich vor und entschuldigt auch gleich Gitarrist Sam Bower, seinen kleinen Bruder. Dieser müsse aufgrund seiner Examen seine Nase in Bücher stecken und konnte leider nicht mit nach Wien. Im Zimmer springen Tristan Marmont und Bassist Roland Johnson von ihren Plätzen in der Sitzecke auf und reichen uns ebenfalls beschwingt die Hand. Die beiden fangen auch gleich an, den Tisch aufzuräumen. Liptauer und eine halb-leere Softdrink-Flasche werden zur Seite gestellt. Zurück bleibt nur eine Schüssel Chips, Jamies Becher Bier und ein kleiner Fleck einer verschüttenden Flüssigkeit, für die auf die Schnelle keine Serviette zum Aufsaugen gefunden werden konnte. Nachdem wir unsere Plätze eingenommen haben, kommt unser Gespräch nach ein bisschen Smalltalk unweigerlich auf die "interessante Wandbemalung". Auf der Wand des "Schlachthauses" - wie Counterfeit die Örtlichkeit charmant und zutreffend betiteln - haben sich jede Menge anderer Bands mit mehr oder weniger fragwürdigen Bildnissen und Hinweisen verewigt - und schlussendlich können wir mit dem Interview beginnen. Zwischenzeitlich kommt auch ein leicht verschlafen aussehender Jimmy in den Raum geschlurft. Seine Bandkollegen können sich einen kleinen Seitenhieb auf ihren Schlagzeuger nicht verkneifen, der sich seinerseits artig vorstellt, sich einen Stuhl schnappt und mit gleichgültiger Haltung setzt. Trotz seiner Sitzposition, die an einen gelangweilten und genervten Teenager erinnert, kommt überraschenderweise während des Interviews sogar hin und wieder eine Wortmeldung von ihm.

Musik als Ventil

Zuerst wird kurz der Sound der Band hinterfragt. "Wir klingen nach zerbrochenem Glas und Flaschen, die auf dem Boden zerdeppert werden", beginnt Sänger Jamie seine Erklärung. Sie seien eine Punkband, mit einem leichten Einschlag guter alter Rockmusik, ein Einfluss und Sammelsurium all der Musik, zu der sie selbst alle aufgewachsen sind. "Unsere Musik ist definitiv wütend.", fügt Jamie noch hinzu. Er hatte früher, wie er sagt, das Bedürfnis, so zu sein, wie andere ihn haben wollten und seine Musik erlaubt es ihm nun, sich zu verwirklichen. "Es geht nicht darum, ein Arsch zu sein, sondern mehr darum, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein. Wenn mich etwas verärgert, dann kann ich es durch die Musik ausdrücken." - "Könnte man sagen, das Songwriting und die Musik sind für dich eine Art lyrisches Tagebuch?", wollen wir wissen. Eine Frage, der der Brite sofort zustimmt: "Absolut. Wenn wir auftreten, hat das auf uns alle schon eine reinigende Wirkung. Besonders auf mich, weil es meine Worte sind." Es ist also Jamie selbst, der einen Großteil an Text und Musik zu Papier bringt, auch wenn der ein oder andere Song ein wenig gruppendynamischer zustande gekommen ist. Counterfeit sind schließlich, wie Jamie uns noch versichern will, keine Diktatur. Die Art Songs zu schreiben gründet sich schlicht auf die Tatsache, dass sie zu Beginn ihres "Bandseins" wenig Gelegenheit hatten Zeit zusammen zu verbringen. Das Thema dreht sich sodann um Counterfeits Entstehungsgeschichte: "Wie seid ihr auf euren Bandnamen gekommen?" - "Wir haben's in einen Namensgenerator geklopft", scherzt Jamie gut gelaunt. In Wahrheit war es natürlich ganz anders. Die Band hat sich einfach zusammengesetzt, mit diversen Wörtern herum jongliert und am Ende genommen, was cool genug klang. Von "Counterstrike" über "Counterpart" bis zu diversen "totalen Emo-Namen" kam man dann schließlich beim jetzigen Bandnamen an. Angefangen hat das musische Wandeln der Bandmitglieder schon recht früh, für den einen mit professionellem Unterricht, für den anderen im eifrigen Selbststudium, bis man sich schließlich zur Gruppe zusammenfand. Ein bislang recht erfolgreiches Konzept, ein vollständiges Album haben uns Counterfeit bislang allerdings noch nicht gegönnt. Geschrieben sind die Songs aber schon. "Wir haben schon einen Titel für das Album und wollen es im Dezember oder Anfang nächstes Jahr veröffentlichen." Ein bisschen müssen wir uns also noch gedulden, allerdings arbeitet die Band, wie uns noch verraten wird, gerade an ihrer nächsten Single, die es schon viel eher zu hören geben soll und für die sogar ein industriebekannter Produzent mit ins Boot geholt wurde. "Wir haben nun auch erst richtig zu unserem Sound gefunden. Wir sind sehr glücklich damit. Es ist genau was wir wollten." Man darf sich also freuen.

Bruderliebe


Auch wenn Sam dieses Mal nicht dabei sein kann, interessiert es uns doch, ob es für die anderen Bandmitglieder ab und an schwierig ist, mit zwei Brüdern zusammenzuarbeiten. Man könnte schließlich auf den Gedanken kommen, dass man sich Verwandtschaftsbanden gegenüber oft nur recht schwer durchsetzen kann, wenn es um die wichtigen Entscheidungen geht. "Ja, mit den beiden hält man es fast nicht aus", witzelt Jimmy herum. Unsere Sorge ist nämlich gänzlich unbegründet. "Sie sind so nett zusammen", findet Tristan und auch Roland bejaht das. "Ich kenne Jamie seit meinem achten Lebensjahr und Sam seit er drei Jahre alt ist. Wir sind jetzt also nicht mit komplett neuen Leuten in der Band und kennen uns eine lange Zeit. Jimmy war noch nicht in der Band, aber selbst ihn haben wir über gemeinsame Freunde und Bekannte kennengelernt, mit denen wir herumgehangen sind“, erklärt Tristan. Jamie fügt dann hinzu, dass Sam ihn in einer Art versteht, die für andere Gitarristen ziemlich schwierig werde. "Er spielt auf die gleiche Weise wie ich. Ich denke das ist vielleicht genetisch und er versteht mich total. Ebenso ist er sehr nachsichtig Ich bin sehr besorgt, Sam hingegen ist super- ruhig. Die ganze Zeit. Das ärgert mich fast schon, dass er so gelassen ist. Im Grunde ist er ein richtig cooler Typ zum Zusammensein. Sicher, mein Bruder und ich haben Meinungsverschiedenheiten, allerdings ist es noch nie außer Kontrolle geraten und mit Sam würde es das auch nicht."

Nicht unbedingt ein Bonus durch den Bekanntheitsgrad

Man nimmt der Band ab eine Einheit zu sein und das gute Klima innerhalb der Gruppe hat keinesfalls geschadet bei der Veröffentlichung ihrer EPs, mit denen sie sich einen respektablen Status in der Öffentlichkeit erarbeitet haben. Dennoch tun sich brennende Fragen auf. Hat der Fakt, dass Jamie ein bekannter Schauspieler ist, ihnen geholfen oder müssen sie sich dadurch mehr beweisen, dass sie eine ernstzunehmende Band sind? Nehmen sie sich schlechte Reviews zu Herzen? Der Frontman braucht keine Minute um zu antworten, denn er ist der Meinung, dass es keinen Unterschied mache, was jemand außerhalb der Band tut, denn beweisen müssten sie sich so oder so. "Aus Großbritannien kommen so viele anständige Rockbands und natürlich wollen wir so gut sein wie diese Leute", bringt der 27 Jährige seine Aussage auf den Punkt und ergänzt noch, dass er lügen würde, wenn er sagt, dass er keine Reviews liest. "Aber letzten Endes ist es eine persönliche Meinung. Ich habe Musik immer geliebt und in Bands gespielt, seit ich 15 Jahre alt war. Es hat sich einfach ergeben, dass die Schauspielerei früher durch die Decke gegangen ist. Dieses "Fuck Off, Schauspieler-Junge-Ding" wird es immer geben, aber das ist in Ordnung. Wenn jemand deswegen unsere Band abschreiben möchte, ohne auch nur die Musik angehört zu haben, dann ist es sein Pech, denn ich bin es nicht, der ignorant ist." Zum Glück war das für Jamie und seine vier Mitstreiter kein allzu großes Problem, denn es ist nun einmal Tatsache, dass er durch seine anderen Projekte einem nicht so kleinen Publikum bekannt ist. "Ich war nie unglücklich über den Fakt, dass ich Schauspieler bin, zu sprechen. Es ist ein Job. Sicherlich haben wir dadurch eine Plattform, die andere Leute zu dem Zeitpunkt nicht haben. Dabei ist das Internet in der heutigen Zeit ein hilfreiches Werkzeug, ein Hilfsmittel in Sachen Publicity. Du musst kein Schauspieler sein- wichtig ist nur, sich von den Anderen abzuheben. So hat man die Möglichkeit, die Band auf die gleiche Art bekannt zu machen. Du musst nur dran sein und darüber aufgeklärt sein.“ Jamie kennt sich, wie es scheint, in dieser Hinsicht jedenfalls bestens aus.

Eine fast verpasste Hochzeit

Ebenso möchte man meinen, dass ihm die Erfahrungen als Schauspieler, Musical-Darsteller oder Model bei seiner Performance, der Bühnenpräsenz oder gar dem Gesang helfen würden. Jamie verneint das allerdings mit einem herzhaften "Fuck No!" und muss selbst über seine, wie aus der Pistole geschossene, Antwort lachen. "Das hier ist so anders als alles, das ich bisher gemacht habe. Es ist sehr aggressiv und direkt. Manche Leute haben von Natur aus die Neigung, etwas vorführen zu müssen und als so eine Person wurde ich geboren. Das ist wie ich bin. Ich liebe es zu performen und auf der Bühne zu stehen, auf welche Art auch immer. Aber dieses Projekt hier ist ein komplett anderes Monster." Die besondere Ausstrahlung und Gabe sofort einen Raum einzunehmen, können wir nicht leugnen. Trotzdem macht die Nervosität auch vor Bower nicht halt, wie er uns berichtet. Bevor es für Counterfeit auf die Bühne geht, stellt sich die muntere Truppe – angeführt von Drummer Jimmy Craig - zusammen in einem Kreis auf und nach einen 1,2,3 wird ein Wort gerufen, das sie leider nicht verraten wollen. Ein weiteres wichtiges Ritual betrifft nur Jamie. Dieser lässt sich nämlich zu Beginn der Tour von Sam die Haare schneiden. Da "Mini-Bower" - wie sein großer Bruder ihn liebevoll nennt - nicht zur Stelle war, musste kurzerhand Tristan Marmont als Friseur einspringen. Roland Johnson und er berichten uns darauf gleich, dass sie ihre Jobs kündigen mussten, weil das Touren mit der Band natürlich viel Zeit in Anspruch nimmt und sie sich dafür nicht ständig freinehmen hätten können. Marmont hatte einen besonders interessanten Arbeitsplatz. "Ich habe im Bereich Audio Post Produktion gearbeitet. Für Filme, Cartoons und solche Sachen. Es war richtig cool", erzählt er mit leuchtenden Augen. Doch sie wollten voll und ganz frei für die Band verfügbar sein, betont Roland ihren Einsatz für Counterfeit und plaudert gleich noch weiter aus dem Nähkästchen. "Tristan hätte fast mal ein Konzert am Hochzeitstag seiner Schwester gespielt. So verpflichtet hat er sich gefühlt." Der Rest der Band hat ebenfalls schon Urlaube und andere Dinge zugunsten ihres musikalischen Projekts abgesagt.

Zukunftspläne

Für die Schauspielerei findet Jamie Campbell Bower nichtsdestotrotz zwischendurch Zeit. Im Jänner nächsten Jahres wird er in der TNT Serie Will zu sehen sein. Die nächsten Pläne betreffen allerdings Counterfeit. Die Veröffentlichung ihres Debütalbums und einer neuen Single, das Touren und die Band auf ein neues Level bringen stehen ganz oben auf ihrer Liste. Zum Abschluss unseres Gespräches hat noch einmal Jamie das Wort:" Erst einmal ein Danke fürs Lesen und natürlich an euch beide, dass ihr euch die Zeit genommen habt uns zu interviewen. Ich weiß das zu schätzen. Falls ihr es mögt, was ihr gelesen habt oder mehr herausfinden wollt, kommt doch zu einem Konzert oder schaut auf youtube. So sehr wir es lieben würden, dass ihr eine Single kauft, ihr könnt euch die Musik selbstverständlich auch auf Kanälen wie youtube anhören. Jedenfalls, wenn es euch gefällt und ihr zu unserer Show kommt, bekommt ihr Rockmusik ohne Umschweife." Nachdem wir uns für das Interview bedankt und der Band einen  guten Auftritt gewünscht haben, geht es für uns direkt weiter in die Kleine Halle der Arena zum Gig.

Im Nachhinein können wir hier an dieser Stelle bestätigen, dass die Band ein explosives Konzert hingelegt hat. Auf ihrer Setliste waren Stücke wie "Enough", "Come Get Some" und "Lost Everything". Jamie Campbell Bower mag zwar in der Öffentlichkeit stehen, trotzdem wirkt es nicht so, als würde der finanzielle Nutzen der Gruppe im Vordergrund stehen. Denn am Ende des Tages sind er und seine Bandkollegen einfach fünf Freunde, die zusammen Musik machen.

Gerda Doblhammer
Stephanie
Ambros