"Österreich ist nicht so schlimm, wie alle tun"

Leyya touren mit ihrer Musik gerade durch Europa. Wir haben die Band in Liverpool nach ihrem Gig am Sound City Festival zum Interview getroffen. Ein Gespräch über Reisepannen, Modelleisenbahnen und musikalische Einflüsse.

Das Schicksal wollte Leyya ihren Auftritt am Liverpool Sound City Festival nicht leicht machen, so scheint es. Nicht nur gingen Teile ihres Equipment auf dem Hinflug verloren und waren bis zum Auftritt nicht mehr aufzutreiben, auch der Gig selbst erwies sich als schwierig.
Einer der Kritikpunkte des Festivals, das erst letztes Jahr an die neue Location an den Docks gezogen ist, ist die Aufteilung der Bühnen. Mit Ausnahme der Hauptbühne und jenen im Zelt, sind diese nämlich mitten auf den Fußwegen platziert. Die Zuschauer stehen den Vorbeigehenden im Weg und umgekehrt. So ist es auch bei der Cargo Stage der Fall, die versteckt zwischen Dixie-Klos und Kebap-Stand eine der undankbarsten ist. Ausgerechnet sie ist es, die Leyya bespielen sollen.
Tapfer, aber sichtlich ausgelaugt von den Strapazen des Tages, werden Leyya dann dennoch einen Auftritt geben, der sich für die Stehenbleibenden lohnt.Als ich Leyya am nächsten Tag zum Interview in der Liverpooler Innenstadt treffe, wirken sie ausgeschlafener und den Umständen entsprechend gut gelaunt. Auch die Sache mit dem Gepäck scheint sich geklärt zu haben.

 

Was ist mit eurem Gepäck passiert?

Sophie Lindinger: Das wüssten wir auch gerne. (lacht)

Marco Kleebauer: Wir haben es bei der Gepäckausgabe nicht bekommen. Mehr wissen wir auch nicht, aber offensichtlich haben wir es jetzt wieder.

SL: Ja, sie haben es anscheinend gefunden, wir kriegen es hoffentlich bald.

MK: Wir hatten uns schon drauf eingestellt, alles neu kaufen zu müssen.

War denn bei dem Equipment auch irgendwas mit emotionalem Wert dabei, etwas, das ihr nicht mehr so wiederkaufen hättet können?

MK: Nein, Gott sei Dank nicht. Es waren auch keine Gitarren dabei, nur Keyboard und elektronisches Equipment.

Ihr habt ja nun schon ein paar UK-Dates gespielt bei dieser Tour, unter anderem das Great Escape in Brighton. Wie hat euch das englische Publikum empfangen?

MK: Natürlich kennen uns hier nicht so viele Leute. Aber beim Great Escape waren eh genug Leute, die Location war voll. Und sie haben zugehört, das ist das einzige, das ich vom Publikum erwarte.  

SL: Man muss da auch ein bisschen unterscheiden zwischen einem Showcase-Festival und einem normalen Festival.  Bei den Showcase Festivals sind auch immer Leute, die sich die Bands anschauen, um sie vielleicht auch irgendwann zu buchen. Da ist dann schon ein Unterschied da im Publikum, bei Showcase Festivals sind die Leute viel zurückhaltender und beobachten hauptsächlich. Beim Great Escape waren sie aber auch überraschend aufgeschlossen, haben sich bewegt.

So auch beim gestrigen Auftritt am Liverpool Sound City. Als Leyya mit ihrem Set beginnen, ist der Platz vor der Bühne noch relativ leer, kaum mehr als 10 Personen haben sich eingefunden. Im Laufe des Konzertes jedoch bleiben immer mehr Vorbeiziehende stehen, es wird zugehört, mit den Köpfen genickt und den Füßen gewippt. Als die Band dann mit ihrer erfolgreichen Single „Superego“ aufwartet, macht sich eine richtige Euphorie breit, Leyya haben das Publikum gewonnen. Schnell werden zerknitterte Zettel mit dem Timetable aus der Hosentasche gezogen und der Bandname darauf notiert.

Wie nehmt ihr eure Rezeption im Ausland allgemein wahr? Habt ihr das Gefühl, dass es einen Unterschied gibt, wie eure Musik in verschiedenen Städten wahrgenommen wird?

SL: Ja, ich hab das Gefühl, in den größeren Städten ist es einfacher, weil die Leute da offener sind. In kleineren Städten und am Land ist das… sagen wir mal eingeschränkter. Berlin und Wien sind so Städte, in denen es eigentlich immer gut funktioniert. Bei uns im Dorf (Anm.: Eferding, Oberösterreich) hat es auch lang gedauert, bis die unsere Musik akzeptiert haben. Jetzt wo sie uns da und dort sehen, akzeptieren sie uns, obwohl sie es vorher wahrscheinlich nicht getan hätten.

MK: Ja, sobald sie gehört haben, dass wir zum Beispiel bei "Willkommen Österreich", oder in der Zeitung waren, glauben sie, wir fahren jetzt schon mit der Limousine zu unseren Konzerten und so. Ich meine, das mit der Limousine stimmt eh, aber sonst… (lachen).

Wie sieht der kreative Prozess eures Songwritings aus? Bastelt ihr lange an den Songs, oder habt ihr von Anfang an eine bestimmte Vorstellung, wo der Song hingehen soll?

MK: Das ist immer unterschiedlich. Wir haben nicht wirklich eine Vorgehensweise. Wenn man immer gleich an Musik herangeht, dann klingt auch alles gleich. Es gibt grundlegende Sachen, beispielsweise dass Sophie die Texte schreibt und ich das Mixen mache. Es hat sich herauskristallisiert, dass das so am besten funktioniert. Und Sophie singt, das würde ich keinem antun, dass ich das mache. (lachen)

SL: Ja genau. Es ändert sich auch immer, mit welcher Idee wir anfangen. Ob wir gemeinsam anfangen, das ist immer unterschiedlich. Vor allem wenn wir ein neues Instrument dazukriegen, entsteht oft ein neuer Song. Jetzt haben wir ein paar Instrumente verloren, vielleicht können wir uns jetzt wieder ein paar neue anschaffen. (lacht)

Na, vielleicht war’s ja doch zu was gut und ihr schreibt dadurch jetzt euren Welthit.

MK: Ja, mal schauen.

Was hat euch zu elektronischer Musik geführt bzw. der Musik die ihr macht?

MK: Ich würde nicht sagen, dass wir rein elektronische Musik machen. Es hat eine elektronische Ästhetik, aber es sind viele organische Instrumente dabei und live spielen wir auch mit Band. Ich glaube eher die Songstruktur und die Art wie wir zum Beispiel einen Drum Beat spielen, ist sehr von elektronischer Musik beeinflusst.

SL: Man kann sagen wir machen elektronische Musik, mit echten Instrumenten. Das hat sich mit der Zeit so entwickelt.

MK: Ja, wir haben eine Zeit lang richtige elektronische Musik gemacht. Dann sind wir draufgekommen, dass es sich besser anfühlt, wenn man mit einem echten Schlagzeug statt mit einem Drum Computer die Songs einspielt. Wir werden zwar immer als elektronische Musik dargestellt, aber ich glaube, es ist so mittendrin.

 

Euer Debut-Album ist ja jetzt schon ein Jahr alt. Arbeitet ihr schon an einem neuen Album?

Beide: Ja.

SL: Unser Debut-Album ist gerade nochmal re-released worden. Davor haben wir es nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz rausgebracht. Jetzt ist die Deluxe-Version rausgekommen, mit „Butter“, „Worthy“ und Remixen drauf. Wir arbeiten schon länger an neuen Sachen und die sollten dann hoffentlich Anfang nächsten Jahres als Album rauskommen. Ist halt schwierig zu sagen, man weiß ja nie, wie schnell man wie weit ist. Wir haben schon ein paar Nummern, aber wir denken dann gern nochmal drüber nach: „Lassen wir die so? Gefällt uns das?“. Wir wollen nur Dinge aufs Album packen, die uns hundertprozentig repräsentieren und die uns hundertprozentig gefallen und das dauert dann. Wir sind auf jeden Fall auf einem guten Weg, wieder ein Album fertigzukriegen.

MK: Es soll ja auch nicht dasselbe werden.

 

Seid ihr in Gedanken meistens bei eurer Musik, oder braucht ihr auch andere Hobbies und Tätigkeiten, die euch eine Pause und Ablenkung geben vom Songwriting?

MK: Ich glaube, ich bräuchte ein Hobby (lacht). Es ist schon ein bisschen gefährlich, wenn man den ganzen Tag Musik macht und Musik die ganzen Stunden, in denen man wach ist, beansprucht. Wenn das mal nicht so gut läuft, dann hat man kein Ventil, wo man seinen Frust, oder was auch immer auslassen kann. Ich hab schon dunkle Momente gehabt, wenn ich mal nicht produktiv war, man fokussiert sich dann nur auf die Musik. Wenn man jetzt nebenher sagen wir Modelleisenbahnen baut, dann kann man sagen „Okay, mit der Musik ist es grad scheiße, aber ich kann meine Modelleisenbahnen bauen.“

SL: Ich glaub, ich kauf dir eine. Marco und ich sind da glaub ich auch sehr unterschiedlich. Er macht immer Musik, er macht immer irgendwas. Ich brauche eine gewisse Stimmung, um mich hinzusetzen, ich muss reinkommen in das Ganze. Wenn ich am Vortag herumgereist bin, dann nach Wien komme und auch noch arbeiten muss und einen Tag frei habe, dann kann ich an dem einen Tag nicht auch noch Musik machen, weil ich auch mal einen Tag brauche, um runterzukommen. Das ist für mich ein richtiger Prozess, wieder in dieses Kreative reinzukommen, wo ich dann auch wieder Musik machen kann. Marco, du bist da glaub ich eher produktiver und hast eine andere Art, musikalisch zu arbeiten. Ich hab da eher so ein Songwriter-Ding, also setze mich zur Gitarre und mach einen Song von vorne bis hinten und der ist dann fertig bzw. ist die Grundstruktur fertig, bis Marco es weiterproduziert. Wenn ich produzieren würde, würde ich vielleicht auch eher wie Marco arbeiten, aber ich brauche fürs Schreiben eine gewisse Ruhe und Kraft, die ich oft nicht hab, wenn wir sehr viel herumreisen.

 

Macht ihr das mit der Musik hauptberuflich? Kann man von Musik leben?

SL: Könnte man vielleicht. (lachen)

MK: Man muss das ein bisschen realistisch sehen, dass wir noch nicht so lange präsent sind, im Musikbusiness. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg und arbeiten hart, dass es bald so ist, dass wir zu hundert Prozent von Musik leben können. Noch sind wir ja in einem Stadium, wo wir das, was wir verdienen, wieder reinvestieren. Showcase Festivals, wie das jetzt, sind eine Investition. Natürlich hat man einen Mehrwert davon, wenn uns Leute sehen und uns cool finden, aber das Hotel zahlen uns diese Leute nicht. Das Ding ist, jeden Tag schießt ein neues Elektronik-Duo aus dem Boden und fast jedes ist nur eine Eintagsfliege. Und das wollen wir nicht sein, eine Zeiterscheinung. Wir wollen zeitlose Musik über einen langen Zeitraum machen, das ist unser Ziel.

 

Tut mir Leid, aber ich muss eine der leidigen Fragen mit Österreichbezug stellen, weil sie sich gerade so aufdrängt: Wir sind gerade in England, eine Nation, die wohl wie keine andere in Musik und eine Förderkultur ebenjener investiert. Habt ihr das Gefühl, dass es in Österreich genug Unterstützung gibt, Musik einen hohen Stellenwert hat? Wo seht ihr Aufholbedarf?

MK: Man darf nicht sagen, dass Musik in Österreich nicht gefördert wird und alles scheiße ist. Es gibt schon Möglichkeiten, SKE-Fonds zum Beispiel.

SL: Mica zum Beispiel auch, die haben uns eine Tourförderung gegeben. Es gibt schon immer so einzelne Posten, die da sehr dahinter sind.

MK: Finanziell ist es in Österreich mit den Förderungen schon okay, aber es fehlt einfach die musikalische Infrastruktur.

Ja, aber wie seht ihr den Wert, den die öffentliche Wahrnehmung Musik beimisst?

MK: In den größeren Städten, wie Wien, hat Musik schon einen Stellenwert. Die Leute gehen auf Konzerte und schätzen sie.

SL: Es wird auch immer besser, habe ich das Gefühl. Seit dem Bilderbuch/Wanda-Ding liegt das Augenmerk viel mehr auf Österreich. Auch im Ausland merken die Leute „Hey, da gibt’s viel mehr“. Früher war Österreich immer mit der Aussage verbunden „Es ist österreichische Musik, es klingt auch wie österreichische Musik“, es war ein richtig negativ-behafteter Ausdruck. Aber das wird immer besser, Gott sei Dank. Förderungen gibt es auch einige. Diese UK-Sache wurde unter anderem von Österreich gefördert, das ist schon sehr viel wert.

MK: Es gibt viele österreichische Bands, die hier auch spielen könnten und die hier gut herpassen würden, für die es finanziell aber einfach nicht möglich ist. Noch dazu sind wir ja nur zu zweit, wenn man allerdings mit ganzer Band unterwegs ist, ist das ein großer Kostenaufwand.

SL: Ja, am Great Escape haben wir zum Beispiel mit Band gespielt, da haben wir dann die anderen zwei noch reinfliegen lassen. Das ist finanziell schon ein extremer Aufwand.

MK: So ist das. Die pessimistischen Leyya. Alles ist scheiße.

SL: Nein, warum, wir haben doch gerade was Gutes gesagt.

MK: Ja, eh. Österreich ist nicht so schlimm, wie jeder tut. 

 

Mit diesen optimistischen Schlussworten beenden wir das Interview und Leyya machen sich auf, um den Tag für ein wenig Beatles-Tourismus zu nutzen. Einen besseren Tag hätten sie dafür nicht erwischen können. Die Sonne strahlt in gänzlich unenglischer Manier auf die Stadt, während Möwen friedlich über die Köpfe der Fußgänger kreisen. Es wirkt fast so, als würde sich die Stadt entschuldigen wollen, für all die schlechten Dinge, die manchmal in ihr passieren.
Ich schaue der Band nach, wie sie in die Gassen von Liverpool entschwindet und kann ihnen nur wünschen, dass sie das Versöhnungsangebot der Stadt annimmt.  

 

Christina Masarei