Nico, 1988

Model, Schauspielerin, Musikerin – Nicos Charakter ist von einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte geprägt. Doch mit dem Blick hinter ihre Erfolge offenbart sich ein nicht weniger vielseitiges Wesen, welches Susanna Nicchiarelli zu portraitieren versucht.

Den meisten Menschen wird wohl das Debütalbum von The Velvet Underground in den Sinn kommen, wenn von Nico die Rede ist. Doch sie nur daran festzumachen, wäre angesichts ihrer weiteren Entwicklung naiv. Mit Nico, 1988 unternimmt Susanna Nicchiarelli den Versuch, die letzten Jahre ihres Lebens einzufangen, um die düsteren Seiten der deutschen Künstlerin zu zeigen.

Die Erzählung spinnt sich um eine Album-Tour durch Europa ab 1986. Nico, mit bürgerlichem Namen Christa Päffgen, ist mittlerweile 47 Jahre alt und von einer außergewöhnlichen Laufbahn geprägt. Ihre Schönheit führte sie mit bereits 16 Jahren in den Modelberuf, welcher ihr Leben grundlegend veränderte und sie schließlich als Schauspielerin nach New York brachte. Nachdem Andy Warhol sie mit The Velvet Underground vereinte und diese vermarktete, begann ihre Karriere als Musikerin. Was in Nico, 1988 aber im Zentrum steht, ist das, was von diesem Leben in den letzten Jahren noch übrig war. Die Heroinabhängigkeit und die Unfähigkeit, ihrem suizidalen Sohn eine Mutter zu sein, okkupieren sie emotional. Rückblenden sowie Einschübe aus Jonas Mekas’ Diaries Notes and Sketches und Scenes from the Life of Andy Warhol dienen als Erinnerungsfetzen, um Nicos mentale Verfassung darzustellen. Das daraus resultierende Verhältnis zu ihrem Umfeld zeichnet das Bild einer abgründigen, gequälten Seele.

Ein beträchtlicher Teil der 93 Minuten wird von musikalischen Einlagen eingenommen. Da die Inszenierung der Performances und die für den Film neu aufgenommenen Songs aber die Kluft zwischen Abbildung und Abgebildetem nur verdeutlicht, könnte man meinen, Gast einer Tribute-Show zu sein. Nicos künstlerischer Fingerabdruck entspringt gerade der Authentizität ihrer Stimme, die mit dem Versuch der Imitation gnadenlos untergraben wird. Demnach ist fraglich, was mit der Darstellung von Konzertsituationen wirklich erzielt werden soll. Wie daran zu sehen ist, unterstreicht Nicchiarellis Film unfreiwillig das Problematische an konventionellen Biopics. Im Großen und Ganzen wird dies schon durch die Abbildung von Klischeevorstellungen eines Rockstar-Lebens zur Schau gestellt, welche verhindert, eine gewisse Oberfläche zu durchdringen. Davon abgesehen, dass Trine Dyrholm erst als Nico angesprochen werden muss, um sie visuell als solche zu erkennen, fällt es auch im Hinblick auf ihr Schauspiel schwer, ihr die Verkörperung dieser komplexen Persönlichkeit abzunehmen. In einer Szene rechtfertigt sich ein Jazz-Pianist, der mit Nico auftreten will, ohne ihre Musik zu kennen, mit den Worten „that lady is a piece of history“. Obwohl die oberflächliche Rezeption von Nico spürbar kritisch kommentiert wird, arbeitet der Film leider selbst im Sinne dieser Worte.

Dies führt zur Frage, welchen Fokus Nico, 1988 eigentlich verfolgt. Ästhetisch wird mit interessanten Akzenten gearbeitet, um eine psychologische Tiefe in Nicos Charakter zum Ausdruck zu bringen. In der Narration scheint sich diese Zielgerichtetheit aber häufig auf die Crew in ihrer Gesamtheit zu zerstreuen. Dabei ergeben sich Erzählstränge, denen es an Substanz zu fehlen scheint. Auch Aspekte wie Nicos hohe Gewaltbereitschaft, rassistische Züge und die Tatsache, dass sie ihren Sohn zum Heroinkonsum verleitet hat, werden im Film vernachlässigt bzw. ignoriert. Wenn man nun Susanne Ofteringers Dokumentarfilm Nico Icon bereits gesehen hat, mag Nicchiarellis Biopic womöglich nicht mehr viel zu bieten haben. Der ohnehin wagemutige Versuch, den Menschen hinter Nico zum Vorschein zu bringen, ist damit leider nicht sehr ertragreich ausgefallen.

Peter Freydl