Ed Sheeran und die wilde, tanzende Menge

Ed Sheeran gastiert derzeit in Wien und spielt 2x im - seit Monaten - ausverkauften Ernst-Happel-Stadion. Es herrschte Party-Stimmung vom ersten bis zum letzten Ton. Aber ob das Konzert, bei dem Ed Sheeran ganz alleine auf der Bühne stand, wirklich überzeugen konnte?

Kapitel 1: Anne-Marie und die tanzende Menge
Bei dunstiger Hitze im Stadion und spürbarer Vorfreude heizten Jamie Lawson und Anne-Marie dem Publikum noch mehr ein. Vor allem Anne-Marie, die in den letzten zwei Jahren durch Hits wie Friends, Ciao Adios und 2002 zu Weltruhm gelangt ist, hatte die Menge voll im Griff: es gab euphorischen Applaus, es wurde viel mitgesungen und getanzt - und das ist es, worum es bei einem Konzert für viele geht, wie mir an diesem Abend einmal mehr bewusst wurde.

Kapitel 2: Das Publikum
Während des Auftritts von Anne-Marie, vor allem aber danach, geht es zu wie auf einer Bushaltestelle: Es herrscht ein ständiges Kommen & Gehen, denn es muss für Getränkenachschub gesorgt werden, außerdem ist es wichtig, möglichst alle verfügbaren Ed Sheeran-Motive, die auf die Becher gedruckt sind, sein Eigen nennen zu können. Nie kann man in Ruhe stehen, ständig stößt jemand an und rempelt einen fast um. Die Gespräche drehen sich um eine Tochter, die erste Anzeichen zeigt, zuzunehmen, um frischgestochene Tattoos, um reduzierte Calvin Klein-Gürtel und um die Altersteilzeit, in die eine Freundin gerade gegangen ist. Es werden unzählige Selfies mit dem immer gleichen Hintergrund gemacht, nämlich der Bühne. Die Bühne, auf der nur kurze Zeit später Ed Sheeran stehen wird - ganz alleine, ohne Band, ohne Tänzer, ohne Bühnen-Deko.

So ein Ed Sheeran-Konzert scheint der perfekte Familienausflug zu sein, geschätzt ein Drittel des Publikums sind Familien mit kleinen Kindern. Jemand, der so wenig aneckt wie der britische Sänger, spricht eben auch alle Altersklassen und Schichten an: vom 60-jährigen Bankangestellten bis zum 5-Jährigen, der auf seinem ersten Konzert ist, ist alles vertreten. Neben mir ruft ein Familienvater mehrfach leicht nervös seine Frau an, die wohl verloren gegangen ist (tatsächlich kehrt sie nach mehr als einer Stunde zurück und berichtet begeistert, dass sie von der Schlange beim WC aus alles gesehen hat).

Kapitel 3: Das Konzert
Der brave Ed fängt nicht pünktlich an - nein, er fängt sogar überpünktlich an. Schließlich liegt ein großer Teil des Publikums zu dieser Zeit normalerweise schon im Bett. Und weil Ed Sheeran ein bescheidener Typ ist, der mit weißem T-Shirt, schwarzer kurzer Hose, weißen Tennis-Socken und schwarz-weißen Nikes auf die Bühne geht, gibt sich Ed auf der Bühne mit nichts Weiterem zufrieden, als sich selbst. Die Bühne ist komplett leer, alles, was darauf zu sehen ist, ist er. Sheeran reduziert seine Konzerte auf das Wesentliche: auf die Musik und auf den Musiker. Das ist an sich nichts Schlechtes und in Zeiten, in denen das übertriebene Herumgehüpfe diverser Background-Tänzerinnen oftmals Überhand nimmt, eine willkommene Abwechslung.

Trotzdem ist auch Sheeran einer dieser typischen Popstars: die Mädchen sind ihm ergeben, es wird ohrenbetäubend laut gekreischt, hinter mir schreit ein Mädchen „I love youuuu!“. Und das, obwohl Ed Sheeran optisch nicht unbedingt dem Popstar-Klischee entspricht, aber er überzeugt durch seine sympathische, lockere „Boy Next Door“-Art. Zwischen den Songs macht er Ansagen („everything you gonna hear tonight is played live“, „I want to entertain you“, „make up the words if you don’t know them“) und erzählt kleine Geschichten, die ihn nahbar machen: Ed Sheeran, der große Popstar, der Humor hat, über sich selbst lachen kann und der das Wohl seines Publikums in den Vordergrund stellt. Trotzdem kommt zumindest bei mir keine richtige Konzert-Stimmung auf. Das liegt einerseits an ebendiesen langen Geschichten zwischen den Songs, die zwar lustig sind, aber den Auftritt phasenweise wirken lassen, als wäre ich auf einer Comedy-Show gelandet, bei der zwischendurch - zugegebenermaßen sehr schöne - Songs gespielt werden. Auch dass Sheeran ganz alleine auf der Bühne steht, wirkt nach der anfänglichen Freude darüber etwas lahm: eine Band, die ordentlich Gas gibt und Live-Konzert-Charakter mit sich bringt, fehlt mir.

Kapitel 4: Das Fazit
2012 - noch vor seinem Durchbruch - habe ich Ed Sheeran live am FM4 Frequency gesehen. Niemand hat ihn gekannt, jeder hat sich gewundert, wer denn dieser rothaarige Bub ist. Innerhalb kürzester Zeit hat er es jedoch geschafft, das ganze Publikum in der Hand zu haben und es mit seiner Musik in den Bann gezogen. So sehr, dass ich mich bis zum heutigen Tag gut an den Auftritt erinnern kann, obwohl ich eigentlich wegen ganz anderen Bands an diesem Tag vor der Bühne gestanden bin. Bis heute ist ihm diese Gabe geblieben und er nützt sie perfekt aus. Dass er dazu nichts braucht, als eine Gitarre, eine Loop Station, seine Stimme und seinen Humor, ist einzigartig und ein Grund, Respekt vor ihm zu haben.

Elisabeth Voglsam

Finger weg von meiner Paranoia, die war mir immer lieb und teuer.
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